Interview Ex-NRW-Innenminister Jäger über seine Familie, Schulterklopfer und ein Spitzenamt in der Politik

Sieben Jahre stand Ralf Jäger als Innenminister in NRW unter Dauerstrom. Wie hat sich sein Leben 100 Tage nach dem Machtverlust verändert? Seine Frau Marion hat jedenfalls schon Vorkehrungen getroffen, damit er ihr nicht auf den Wecker fällt.

Ralf Jäger (SPD) war als NRW-Innenminister der Prügelknabe der Opposition. 100 Tage nach dem Machtwechsel in NRW freut er sich zwar über wieder gewonnene Freiräume, schließt aber ein politisches Spitzenamt für die Zukunft nicht kategorisch aus.

Foto: Federico Gambarini/dpa

Duisburg/Düsseldorf. Kein Landespolitiker in Nordrhein-Westfalen stand in den vergangenen Jahren stärker im Hagel der Kritik als Ralf Jäger (SPD). Die Kölner Silvesternacht, Ermittlungspannen im Fall Anis Amri, Debatten über „No-Go-Areas“ im Ruhrgebiet - wie haben der damalige Innenminister der abgewählten Regierungschefin Hannelore Kraft (SPD) und seine Familie die Belastungen weggesteckt? Und warum hat er sich ausgerechnet in den Sportausschuss zurückgezogen? Rund 100 Tage nach der Landtagswahl hat der 56-Jährige der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf Einblicke in ganz persönliche Gedanken gewährt.

Welches Gefühl überwiegt bei Ihnen 100 Tage nach der Wahlniederlage - Enttäuschung oder Erleichterung über wiedergewonnenes Leben?

Ralf Jäger: Das war immer ein Amt auf Zeit, das ich bis zum letzten Tag sehr gerne gemacht habe. Nach dem Verlust eines solchen Amtes erkennt man aber plötzlich, was man wieder zurückgewinnt, nämlich ein zusätzliches Stück persönliche Freiheit und Selbstbestimmtheit. Man stellt auch fest, dass man freie Zeit zu Hause mit der Familie verbringen kann. Als ich kurz nach der Wahl schon um 17 Uhr nach Hause kam, fragte mich mein 18-jähriger Sohn Levin: „Hömma, wohnst Du jetzt hier?“

Ihrer Frau fallen Sie noch nicht auf den Wecker?

Ralf Jäger: Nein, die hat mich erstmal ausgestattet mit einer sehr langen To-do-Liste. Ich bin eingeplant für alles, was über die Jahre liegen geblieben ist in Haus und Garten.

Gab es auch Phantomschmerzen in den vergangenen 100 Tagen?

Ralf Jäger: Natürlich schaut man immer darauf, was gerade in der Innenpolitik geschieht. Was ich als Phantomschmerz bezeichnen würde, ist der Verlust an Gestaltungsmöglichkeiten. Das ist ein schmerzhaftes Erlebnis, aber ich habe keine Leere gespürt. Ich bin ja nicht beschäftigungslos. Ich bin Landtagsabgeordneter, SPD-Unterbezirksvorsitzender in Duisburg und sehr stark eingebunden in die Oberbürgermeisterwahl.

Was ist der gravierendste Unterschied, wenn man plötzlich nicht mehr Minister ist?

Ralf Jäger: Man steigt hinten rechts ins Auto ein und vorne links fährt keiner los. Und jetzt sitze ich in meinem Landtagsbüro und schreibe Kleine Anfragen.

Wie ist das Leben ohne Fahrer und Bodyguards?

Ralf Jäger: Ich habe einen 18-jährigen Sohn, der Zeit und Schulden hat, und der ist in den Sommerferien ein bisschen Fahrer und Sekretärin in einem.

Haben Sie ohne Ihr einflussreiches Amt auch weniger Freunde?

Ralf Jäger: Dieses Amt beschert einem nicht zwingend Freunde, sondern Partner und Mitstreiter und das endet mit der Amtszeit. Freundschaften habe ich wenige in der Politik. Die pflege ich aber.

Und wo sind die Claqueure?

Ralf Jäger: Die Schulterklopfer sind jetzt weg.

Kein Landespolitiker ist in den vergangenen Jahren so anhaltend und heftig kritisiert worden wie Sie - was hat das mit Ihnen gemacht?

Ralf Jäger: Das war ja nicht die ganzen sieben Jahre so. Ganz im Gegenteil. Das waren eher die letzten zwei Jahre. Das hält man nur durch, wenn man überzeugt ist, dass das, was man tut, richtig ist, und wenn man eine Familie hat, die einen stärkt.

Und wie steckt man das weg?

Ralf Jäger: Das beschäftigt einen schon. Aber man darf das nicht persönlich nehmen. Ungerechtfertigte Kritik richtet sich ja nicht an den Menschen Ralf Jäger, sondern an den Amtsinhaber und ist in der Regel interessengeleitet.

Haben Sie sich von Ihrer Partei immer voll unterstützt gefühlt?

Ralf Jäger: Auf jeden Fall. Nicht nur von meiner Partei, insbesondere von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium, die hinter unserer Aufgabe und meiner Person gestanden haben.

Wie war es, als sicherheitsgefährdeter Innenminister mit Personenschutz zu leben?

Ralf Jäger: Das ist eine große Einschränkung an Lebensqualität, wenn man das Haus verlässt und dann den ganzen Tag von Personenschützern umgeben ist. Immer so einen Schatten dabei zu haben, daran muss man sich erst gewöhnen. Das waren 14 nette Leute, die sich im Wechsel um mich gekümmert haben.

Haben Sie das akzeptiert oder haben Sie die Leute gestresst?

Ralf Jäger: Ich bin auch mal ausgebüxt, um mal ganz in Ruhe irgendwo eine Currywurst zu essen.

Hatten Ihre Kinder in der Schule darunter zu leiden, dass ihr Vater ein bekannter Minister war?

Ralf Jäger: Nein, überwiegend nicht. Allerdings hatten manche Mitschüler die Fantasie, als Minister ist man Millionär und man wohnt in einer großen Villa. Das tun wir nicht. Wir wohnen in einer schönen Einfamilienhaussiedlung in einem bescheidenen Häuschen.

Jetzt sitzen Sie, ebenso wie Ihre frühere Kabinettschefin Hannelore Kraft, im Sportausschuss des Landtags - warum ausgerechnet dort?

Ralf Jäger: Das ist neigungsbedingt bei mir. Außerdem gibt es den Grundsatz in der Politik, dass der Vorgänger dem Nachfolger aus dem Weg geht in den Fachausschüssen. Da die neue Landesregierung das Innenministerium filetiert und gefleddert hat, sind die Bereiche jetzt über mehrere Ministerien verteilt. Dadurch scheiden viele Ausschüsse aus.

Könnten Sie sich noch mal ein Spitzenamt in der Politik vorstellen?

Ralf Jäger: Wenn ich jetzt Ja sage, würde spekuliert, was ich werden will. Sage ich Nein, würden Sie sagen: Das ist jetzt der Polit-Opa, der keine Ziele mehr hat. Es kommt, wie es kommt.

Träumen Sie von Politik?

Ralf Jäger: Nein, nachts habe ich in der Regel andere Träume.

Gibt es denn noch einen Lebenstraum?

Ralf Jäger: Ich würde gerne mal einen Marathon laufen - aber nicht mehr dieses Jahr.