Fassungslosigkeit über tödlichen Streit in der JVA Ronsdorf
Nach einem Streit erwürgt ein Häftling einen Mitgefangenen. JVA-Leitung und Ministerium halten diesen Fall für unvorhersehbar.
Wuppertal. Die Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf steht erneut im Fokus der Öffentlichkeit. Immer noch herrscht Fassungslosigkeit darüber, wie es zu der Eskalation eines Streits um 40 Euro Spielschulden kommen konnte. Ein 18-jähriger Häftling hat dabei offensichtlich einen 20-jährigen Mitgefangenen erwürgt. Der 18-Jährige habe unmittelbar darauf per Notruf die Vollzugsbeamten informiert und die Tat gestanden, sagte Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) in Wuppertal. Die beiden Häftlinge seien beim Zellenbesuch am frühen Mittwochabend in Streit geraten.
Nach Angaben von Anstaltsleiterin Katja Grafweg durchlaufen die Häftlinge ein umfangreiches Diagnoseverfahren, von dem abhängig ist, wie viel Freiheiten sie innerhalb der JVA erhalten. Im Fall der beiden jungen Männer habe dieses Verfahren erst begonnen. In ihrem Verhalten galten sie aber als kooperativ.
Die Zellen der beiden Häftlinge lagen nebeneinander. Sie hatten sich laut Kutschaty schon vorher zweimal besucht. Beim sogenannten Umschluss dürfen sich Gefangene während der Freizeit zwischen 17 und 20 Uhr auf ihren Wunsch hin zusammen in einer Zelle einschließen lassen. Katja Grafweg: „Das ist ein ganz normales Verfahren, das geschieht täglich bei mehreren Häftlingen pro Abteilung.“ Es sei Teil der Resozialisierung: „Das gehört zum normalen Leben, zu dem wir die Häftlinge ja auch wieder hinführen.“
Beide jungen Männer seien zuvor überprüft worden, auch ihr Verhalten miteinander. „Das tun wir bei jedem einzelnen“, versicherte die Anstaltsleiterin. Die beiden hätten in der internen dreistufigen Bewertung die beste Einstufung gehabt. „Für uns gab es keinerlei Veranlassung zu glauben, dass es zu Gewalttätigkeiten kommen könnte.“
Die 2011 als „Vorzeigejugendgefängnis“ eröffnete JVA war in den vergangenen Jahren mehrfach in den Schlagzeilen. Dabei wurden Vorwürfe von Mitarbeitern laut, dort herrschten Missstände, gewalttätige Übergriffe und Repression. Erst Ende April erschütterte der Freitod einer 30-jährigen Justizvollzugsbeamtin die Mitarbeiter der JVA. Im November 2014 hatte sich ein Häftling (23) mit einem Gürtel erhängt. Dies war bereits der dritte Suizid in dem Gefängnis. Im vergangenen August war die Gefängnisleitung ausgetauscht worden. Rupert Koch hatte „auf eigenen Wunsch eine neue Aufgabe übernommen“. Die Juristin Katja Grafweg hatte am 1. September die Leitung zunächst kommissarisch übernommen.
Auch Detlef Feige, Sprecher des NRW-Justizministeriums, spricht von einem „unvorhersehbaren Fall“. Die Zellen sind laut Feige mit Gucklöchern oder Klappen ausgestattet, mit denen die Mitarbeiter einen Blick in die Zellen nehmen können, aber Videoüberwachung sei dort nicht erlaubt. „Auch Häftlinge haben eine Privatsphäre“, sagt Feige. Lediglich in sogenannten „besonders gesicherten Hafträumen“ der JVA seien Videoaufnahmen gestattet. In jeder Zelle befindet sich zudem eine Notrufanlage, mit der die Häftlinge Kontakt zu den Vollzugsbeamten aufnehmen können.
Der junge Häftling, der seit März eine dreijährige Jugendstrafe wegen Raubes, Einbruchdiebstahls und Brandstiftung verbüßt, soll den 20-Jährigen zunächst geschubst haben. Dann kam es zur Rangelei. Schließlich soll der 18-Jährige seinen Mitgefangenen erwürgt haben. Anschließend habe er über die Notrufanlage die Vollzugsbeamten verständigt und gesagt, es sei „etwas Schlimmes passiert“. Der Anstaltsarzt habe noch versucht, das Opfer zu reanimieren, letztlich aber nur noch den Tod des 20-Jährigen feststellen können.
Niemand habe dieses Geschehen bemerkt, sagt Katja Grafweg. Da die Zellen dicht nebeneinander lägen, bekomme man Streit durchaus mit. In diesem Fall sei „keinem Lärm aufgefallen“, der über die Geräusche hinausgingen, die auch sonst ständig auf der Abteilung zu hören sind.
Kritik an dem vergleichsweise jungen Team in der JVA weisen Thomas Kutschaty wie Katja Grafweg zurück. Es gebe auch ältere Kollegen, zudem seien die Mitarbeiter mittlerweile um vier Jahre erfahrener. Die Anstaltsleiterin berichtete, dass alle Mitarbeiter noch immer fassungslos seien. Von einem Tötungsfall während eines Umschlusses habe sie persönlich noch nie gehört. Nach bisherigem Stand der Untersuchung sei dieses Verbrechen nicht vorhersehbar gewesen.
Das Opfer hatte seit März wegen Diebstahls mit Waffen in Untersuchungshaft gesessen. Der mutmaßliche Täter sei noch in der Nacht in eine andere Anstalt verlegt worden. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal ermittelt wegen Totschlags gegen den 18-Jährigen.