FDP: Die Partei auf Bewährung

Selbst im von Christian Lindner zum „Stammland“ ausgerufenen NRW ist es für die Freien Demokraten nicht leicht, Aufmerksamkeit zu finden — und sich programmatisch breiter aufzustellen als in der Vergangenheit.

Bei der FDP Alleinunterhalter: Bundesvorsitzender Christian Lindner.

Foto: Marius Becker

Siegburg. Eigentlich könnte Franz Kuhn (CDU) auch in die FDP eintreten. 400 Freie Demokraten begrüßt der Siegburger Bürgermeister, dessen Stadt stolze und geehrte Gastgeberin einer so „wichtigen politischen Veranstaltung“ ist, zum 68. Parteitag ihres Landesverbands. Im März saßen 1000 Bürger in der für eine Kleinstadt etwas überdimensionierten Halle. Die meisten fordern Kuhns Abwahl, weil er die Grundsteuer drastisch erhöht hat. Kuhn weiß wie es sich anfühlt, wenn man nur noch zur Bewährung da ist.

Nicht einmal ein Dutzend Medien-Vertreter hört sich am Samstagvormittag die Rede des Landesvorsitzenden Christian Lindner an, der ja zugleich auch der Bundesvorsitzende und der unerklärte Spitzenkandidat und überhaupt die Verkörperung von allem ist, was die FDP derzeit im Angebot hat. Das soll künftig wieder ein Vollprogramm sein, was sich in der Rede des Multifunktions-Vorsitzenden niederschlägt: Viele Themen, einige Lindner-typische Spitzen, aber nichts, was irgendjemand von den Stühlen risse; am Ende klatscht der Saal sitzend nicht ganz drei Minuten.

Dem Land drohe die Deindustrialisierung durch eigenen NRW-Klimaschutzziele, als ob die Welt überhaupt zwischen Bonn und Bielefeld zu retten sei. Weg mit den Überambitionen, die die EU-Klimaziele nur noch 1:1 umsetzen, keine Alleingänge mehr, denn das Industriemuseum NRW werde vom Eintritt chinesischer Touristen nicht leben können. Applaus, Themenwechsel. Die gewalttätigen EZB-Demonstranten von Frankfurt nennt Lindner „marodierende Banden“, aber die Europäische Zentralbank müsse die „Lira-Fizierung des Euro“ stoppen, Griechenland seine Zusagen erfüllen oder gehen.

So weit, so erwartbar, und so auch weiter. Die Erbschaftssteuer belaste Betriebe, Mittelständler müssten bis zu siebeneinhalb Jahre auf jede Investition verzichten, um diese Steuer zu bezahlen zu können. Haken hinter, weiter. „Bildung ist ein bürgerliches Freiheitsrecht“, so Lindner, der ein „Mondfahrt-Projekt weltbeste Bildung“ fordert. Und dann mit der landespolitischen Schärfe nachlegt, für ihn die Partei so liebt: Wenn der Staat mit bewaffneten Zöllnern den Mindestlohn kontrolliere, dann sei es nicht zu viel von der Landesregierung verlangt, eine Unterrichts-Statistik vorzulegen.

Statt einer Misstrauens-Kultur und der „Anstupps-Politik“, die nun in Bürger-Dialogen frage, was denn wohl ein gutes Leben sei, bloß um es dann hinterher anzuordnen, brauche man gutes und verlässliches Recht, aber keine Stützräder und keinen Laufstall. Und irgendwann ist so eine Vorsitzenden-Rede ja auch mal vorbei. Alles richtig gemacht, findet Lindner: Am Euro festgehalten, der Pegida-Versuchung nicht erlegen, sich nicht mehr gegenseitig öffentliche Ratschläge erteilt. „In einer Phase der Bewährung gehen wir nicht den einfachen, sondern den liberalen Weg.“

Der ist für den Parteitag arbeitsam: In sechs „Ideen-Laboren“ (man sitzt auf dem Gang um Klapptische und schreibt Ideen mit Filzstift auf Packpapier) sollen die Mitglieder zur Strategie-Entwicklung beitragen. Unter anderem hat die FDP das Einwanderungs-Thema für sich entdeckt. Agnes Strack-Zimmermann, stellvertretende Bundesvorsitzende aus Düsseldorf, dankt allen, die Hilfe Flüchtlingen leisten, fordert von allen Bundestagsabgeordneten mehr Geld und sagt an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) gerichtet: „Wir brauchen keine Phrasen und Tränen, sondern Unterstützung. Das Geld des Bundes muss zu 100 Prozent bei den Kommunen ankommen.“ Als dritten von etwas über zwei Dutzend Anträgen berät die FDP über den Antrag der Krefelder FDP, künftig Deutschkurse für Erwachsene schon während des laufenden Asylverfahrens zu ermöglichen.

Die FDP ist gegen die Vorratsdaten-Speicherung, aber für das Freihandelsabkommen TTIP. Das alles beschließt sie nach 15.30 Uhr. Das ist schlecht an einem Bundesliga-Samstag, wenn man will, dass noch jemand außerhalb des Saales zuhört. Knapp vier Wochen sind es noch bis zur nächsten Lindner-Show beim Bundesparteitag in Berlin. Wenig Zeit, um mit NRW-Themen noch bundesweit Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Bewährung läuft.