Interview Finanzminister Walter-Borjans: „Ich plädiere für einen Ethikrat bei den Banken“

Der NRW-Finanzminister will die Kreditinstitute in die Pflicht nehmen, die Politik selbst auf mögliche Fehler in Gesetzen hinzuweisen.

Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Wir sprachen mit dem obersten Kassenwart des Landes über den Kampf gegen Steuerhinterziehung, die Moral der Banken und die Kapitalertragsteuer.

Herr Walter-Borjans, Sie haben sich einen Namen gemacht als Ankäufer von Steuer CDs, mit deren Daten Steuerhinterzieher überführt wurden. Wie sieht derzeit die Bilanz aus, wie viel Geld hat das dem Land und auch dem Bund eingebracht, wie hoch waren die Kosten für den Ankauf?

Norbert Walter-Borjans: Bis jetzt haben wir knapp 18 Millionen Euro für den Ankauf von Datenträgern ausgegeben. Aufgeteilt in die Anteile von Bund und Ländern macht das für NRW weniger als zwei Millionen Euro. Bundesweit führte das zu zusätzlichen Steuereinnahmen von rund sechs Milliarden Euro, für NRW waren es 2,1 Milliarden Euro.

Welchen Anteil hatten die Selbstanzeigen daran?

Walter-Borjans: Der allergrößte Teil dieser Einnahmen entsprang den bundesweit etwa 120 000 Selbstanzeigen, fast 23 000 waren es in NRW. Diese vielen Selbstanzeigen sind eindeutig eine Folge der Ankäufe. Auch darf man nicht übersehen — und daran hat die Steuerfahndung Wuppertal wesentlichen Anteil — dass durch Analysen und Rückschlüsse auf bestimmte Geschäftsmethoden ermittelt werden konnte, welche Banken und Bankangestellten bei den Hinterziehungen behilflich waren. Folge war, dass rund 700 Millionen Euro an Bußgeldern von Banken direkt in den Landeshaushalt von NRW gingen.

Denken die Banken denn mittlerweile um?

Walter-Borjans: Es gibt ein Umdenken, insbesondere auch bei den Großbanken der Schweiz. Die sagen ganz klar, dass sich so etwas nicht mehr für sie rechnet. Im Gegenteil, der Imageverlust bringt wirtschaftliche Nachteile. Von einem Schweizer Banker weiß ich, dass ein seriös Steuern zahlender deutscher Mittelständler, wenn er etwa von einer Schweizer Bank angesprochen wird, schon mal antwortet: Ich möchte keine Schweizer Bank auf dem Briefkopf stehen haben, weil das keinen guten Eindruck macht. Dieser Sinneswandel ist nicht entstanden durch moralische Umbesinnung, sondern aus ökonomischen Überlegungen. Daher ist die Schlussfolgerung für mich: Ich bin auf dem richtigen Weg, wenn ich das Unanständige unrentabel mache.

Hat sich die Stimmung seit den Anfängen der Ankäufe gewandelt? Damals wurden unlautere Verfahrensweisen unterstellt: Der Staat betätige sich als Hehler, hieß es.

Walter-Borjans: Das war damals die erste Phase, als manch einer sich fragte: Wie mache ich mich vom Täter zum Opfer? Das ist misslungen. Entsprechende Vorwürfe höre ich nur noch vereinzelt. Mir passiert es wesentlich häufiger, dass etwa in einem Restaurant jemand zu mir an den Tisch kommt und sagt: „Ich bin mittelständischer Unternehmer, ich zahle anständig meine Steuern und die Konkurrenz trickst. Ich kann Ihnen nur sagen: Machen Sie weiter so.“

Kommen wir zum Thema Panama-Papers und Briefkastenfirmen: Sie haben in einer Rede im Landtag das Recherche-Netzwerk aufgefordert, mit den Behörden zu kooperieren. Geschieht das mittlerweile?

Walter-Borjans: Ich respektiere den Kodex des Journalismus, Quellen nicht preiszugeben. Ich drohe daher auch nicht, habe aber deutlich gemacht, dass wir Interesse an dem Material haben. Und ich setze darauf, dass die Journalisten, die das Material haben, selbst ein Interesse daran haben, dass die Fälle auch strafrechtlich verfolgt werden. Deshalb hat unsere Steuerfahndung einen Brief an den berühmten John Doe (die anonyme Quelle der Dokumente) geschrieben. Und weil wir eine gute Adresse für eine Zusammenarbeit sind, warten wir ab und hoffen auf Antwort.

Sie haben kürzlich gesagt, die Banken als wichtige Säule von Wirtschaft und Gesellschaft hätten die verdammte Pflicht, auf Lücken in der Gesetzgebung aufmerksam zu machen und das Schließen dieser Lücken zu fordern, statt sie schamlos für lukrative Dienstleistungen auszunutzen. Ist eine solche Erwartung nicht illusorisch?

Walter-Borjans: Banken haben eine Sonderrolle in der Wirtschaft. Wenn sie damit argumentieren, dass die Steuerzahler sie wegen ihrer Systemrelevanz nicht kaputtgehen lassen dürfen, dann gilt ihre Systemrelevanz nicht nur für das Handaufhalten, sondern auch für Ansprüche an ihr Verhalten. Ich plädiere für einen Ethikrat aufseiten der Banken, wie wir ihn für Gentechnologie oder andere Bereiche bereits haben. Der könnte dann beispielsweise den Gesetzgeber auf Webfehler in Gesetzen hinweisen, die dazu führen, dass Gesetze anders genutzt werden können als gedacht. Dann hat der Staat die Gelegenheit, die Lücke zu schließen. In Gesprächen mit Bankern hatte ich den Eindruck, dass diese so einen Ethikrat bei einer gemeinschaftlichen Aktion auch akzeptieren würden.

Funktioniert der Appell an die Moral der Banken und Banker?

Walter-Borjans: Bertolt Brecht hat gesagt: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Bei Geldgeschäften ist das Problem, dass es kein Sättigungsgefühl gibt. Deswegen funktioniert das weniger über moralische Appelle als über direkte ökonomische Nachteile oder Imageverlust. Der frühere Schweizer Finanzminister Hans-Rudolf Merz hat gesagt, Geld fließt in alle Ritzen. Daraus folgt: Man muss die Ritzen dichtmachen. Der von mir angesprochene Ethikrat wäre ein Signal dafür, auch wenn ich mir im Klaren bin, dass man sich allein damit nicht zurücklehnen könnte. Aber er würde immerhin dafür sorgen, dass sich die Banken selbst auf Spielregeln einigen und sich nicht schon aus Wettbewerbsgründen gegenseitig beim Tricksen übertrumpfen müssen.

Thema Kapitalertragssteuer: Seit 2009 zahlen Anleger auf Gewinne aus Geldanlagen pauschal 25 Prozent Abgeltungssteuer. Eingeführt hatte sie damals Ihr Parteifreund Peer Steinbrück. Vor dem Hintergrund einer Steuerflucht argumentierte er damals: 25 von X ist besser als 42 Prozent von nix. Wie stehen Sie zu Initiativen, auch für Kapitaleinkünfte wieder den persönlichen Steuersatz gelten zu lassen?

Walter-Borjans: Der Satz ist richtig, so lange die Alternative „42 Prozent von nix“ gilt. Von dem Moment an, ab dem wir einen automatischen Informationsaustausch haben, gilt diese Begründung nicht mehr. Das war damals Notwehr. Doch wenn der Notwehr-Zweck erfüllt ist, kann ich das nicht mehr rechtfertigen, dass diejenigen, die von Kapitaleinkommen leben, mit nur 25 Prozent belastet werden. Das ist definitiv reparaturbedürftig. Ich sehe das so in Übereinstimmung mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, aber leider nicht mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Wie erklären Sie die schlechten Wirtschaftszahlen für NRW, Stichwort Nullwachstum?

Walter-Borjans: Bei der schlechten Lage wird übersehen, dass NRW im Energiesektor, im Stahl oder in der Chemie tiefe Einschnitte hinnehmen musste, die andere Bundesländer nicht zu verkraften haben. Da geht es um Milliarden. Wenn ein Minuswachstum in diesen großen Bereichen in anderen Branchen wieder herausgeholt wird, so zeigt das doch auch, dass am Investitionsstandort enorm viel passiert.

Trügt eigentlich der Eindruck, dass die rot-grüne Landesregierung ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl müde ist? Dass man sich nur noch mühsam in Richtung 2017 schleppt. Und wäre es da nicht für Sie persönlich besser gewesen, Oberbürgermeister von Köln zu werden?

Walter-Borjans: Das gehört zur Wahlkampf-Inszenierung der Opposition. Die Arbeit im Kabinett seit ist sechs Jahren sehr kollegial, auch mit den drei grünen Ministern. Wir sind zwei verschiedene Parteien, aber man handelt gemeinsam für das Land: Wir haben bisher viel erreicht und geben auch in den nächsten zwölf Monaten Gas. Und zu Köln: Das Thema ist erledigt. Es hat großen Spaß gemacht, in der Stadt Dezernent zu sein, aber ich bin gern Finanzminister.