Wuppertal Mord in der JVA Ronsdorf: Tragisch — und vermeidbar?

Der Fall in der JVA Wuppertal-Ronsdorf wirft Fragen auf. Er dreht sich um die Frage, wie Resozialisierung und Sicherheit zusammengehen.

Düsseldorf//Wuppertal. Thomas Kutschaty hatte sich schnell einen Überblick verschafft. Am vergangenen Freitag war der NRW-Justiziminister persönlich zur Jugendhaftanstalt in Wuppertal-Ronsdorf geeilt, sprach dort mit Vollzugsbeamten und Anstaltsleitung über den Tod des 20-jährigen Häftlings, der von einem Mithäftling wegen eines Streits um 40 Euro Spielschulden erwürgt worden war. Es gebe keine Erkenntnisse, dass es „irgendwelche Versäumnisse im Bereich des Personals“ gegeben habe, sagte der Minister danach. Die Tat sei nicht vorhersehbar gewesen.

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Nicht jede dieser Erkenntnis kann der Minister seit Donnerstag aufrechterhalten. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft war der Täter nämlich auch schon zuvor des öfteren mit Gewalttaten aufgefallen, die zum Teil entgegen der Verpflichtungen von den Beamten in der JVA nicht zur Anzeige gebracht worden seien. Eine rechtzeitige Anzeige hätte unter Umständen Einfluss auf die Beurteilung der sogenannten „Gemeinschaftsfähigkeit“ des Häftlings haben können. Eine solche war ihm trotz vieler Vorfälle jederzeit attestiert worden. Jene Gemeinschaftsfähigkeit ermöglicht es den Inhaftierten, in den „Genuss“ des sogenannten Umschlusses zu kommen, bei dem zwei Inhaftierte für drei Stunden zusammen eingeschlossen werden können, um über diesen sozialen Kontakt ihre Resozialisierung zu befördern. Kutschaty deutete diesen Zusammenhang am Donerstag an, wollte den laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in diesem Punkt keinesfalls vorgreifen.

Klar ist: Der Beschuldigte hat einen erheblichen kriminellen Hintergrund. Er war — beginnend im Alter von 15 Jahren - seit Herbst 2013 in unterschiedlichen Haftanstalten untergebracht, etwa in Heinsberg und Iserlohn. Vor einigen Wochen habe er sich zudem bei einer Suchtberaterin gemeldet — ob er tatsächlich ein Suchtproblem hatte, sei noch unklar. Auch ist unklar, ob der Beschuldigte bei der Tat unter Drogeneinfluss gestanden hat.

Dass die Inhaftierten im Umschluss nicht unter Beobachtung stehen, ist normal. Ein Notrufknopf sei in der Zelle zu betätigen, die Tat sei aber etwa drei Meter von diesem Knopf entfernt passiert. Der 20-Jährige sei zunächst mehrere Minuten mit den Händen gewürgt worden, schließlich noch mit einem Gürtel. Auch das Tragen eines Gürtels sei im Umschluss erlaubt, wenn keine Selbstmordgefahr attestiert sei.

Nach der Tat habe der Täter den Notrufknopf gedrückt und den Vorfall gemeldet. Noch Am Abend des 4. Mai sei der Beschuldigte in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt worden. Beide Insassen, deren Zellen direkt nebeneinander lagen, seien als „gemeinschaftsfähig“ eingestuft gewesen. Von keiner der beteiligten Stellen — etwa psychologischer Dienst, Krankenpflegedienst oder Abteilungsleitung — habe es diesbezüglich Bedenken gegeben. Zwei gegenseitige Zellenbesuche zuvor seien unproblematisch verlaufen. Die Staatsanwaltschaft, so teilte Kutschaty am Donnerstag mit, wolle nun ein Gutachten einholen zur Frage der Schuldfähigkeit des Mannes. „Offenbar ist der Täter minderer Intelligenz“, sagte der Minister.

Im Zuge einer Berufung des Beschuldigten — nach seiner Verurteilung im Januar 2016 zu drei Jahren Jugendstrafe — hatte das Landgericht Essen einen Führungsbericht von der JVA Wuppertal angefordert. Darin wird der Gefangene als „freundlich“ beschrieben, er pflege ein „überwiegend gutes Verhältnis“ zu seinen Mitgefangenen. Seit März sitzt er in Strafhaft.