Gesamtschule reißt alte Gräben auf
Bildung: Wie in den 70er Jahren wird diese Schulform zum Zankapfel.
Düsseldorf. Eine Debatte aus den 70er Jahren erlebt derzeit eine Auferstehung in Nordrhein-Westfalen. Es geht um die Gesamtschulen. Schulministerin Barbara Sommer (CDU) hat vor Wochenfrist von einem "Abitur light", also einer Reifeprüfung minderer Güte, an den Gesamtschulen gesprochen, da dort die Ergebnisse geringfügig schlechter als an den Gymnasien waren. Das hat im Land große Wellen geschlagen - schließlich haben in diesem Jahr 9000 Gesamtschüler ihr Abitur abgelegt. Und die müssten sich nun als Schüler zweiter Klasse fühlen, argumentiert die Opposition.
Das ist ein harter Vorwurf an eine Ministerin, die ja für alle Schulformen da sein muss. "Sie diffamieren eine Schule, die sie selbst zuvor schlechter gestellt haben. Das ist infam", lautete gestern im Landtag der Vorwurf von Ex-Schulministerin Ute Schäfer (SPD) an die Adresse ihrer Nachfolgerin. Sommer, die seit Monaten in den Negativschlagzeilen ist, versuchte dem nun zu begegnen und griff zum großen Pathos. In einem Interview mit der WAZ bekannte sie, "alle Schulformen wie eine Mutter zu lieben." Fachlich wies sie auf die höhere Durchfallerquote an Gesamtschulen hin, machte deutlich, dass auf dem Weg zum Abitur rund 60Prozent aller Gesamtschüler auf der Strecke bleiben. Allerdings: Wie viele davon wie geplant nach dem Haupt- oder Realschulabschluss oder gar mit dem Fachabitur abgehen, ließ sie unerwähnt.
Auch wenn Sommer die Systemfrage - also die Frage, ob es künftig noch eine Gesamtschule geben soll - mit ihrem mütterlichen Politikverständnis zuzudecken sucht, ist da ihr Koalitionspartner FDP klarer. "Wir haben schon seit langem beschlossen, die Gesamtschuloberstufen abzuschaffen", sagte FDP-Bildungsexperte Ralf Witzel. Er lud SPD und Grüne dazu ein, sich auf ein gemeinsames Konzept zu verständigen - was die natürlich rundheraus ablehnten.
Tatsächlich hat die Gesamtschulfrage eine große Brisanz. Vor Ort, vor allem in den Großstädten, ist auch die CDU für neue Gesamtschulen. Wie zum Beispiel in Wuppertal, wo die CDU als größere Fraktion zusammen mit der SPD für die Errichtung einer sechsten Gesamtschule gestimmt hat - und der CDU-Oberbürgermeister Peter Jung dieses Vorhaben begrüßt. Allerdings gibt es dagegen Widerstand in Sommers Ministerium.
Dort setzt man auf den Ausbau der Ganztagsbetreuung an Gymnasien, Real- und Hauptschulen, um einen der wichtigsten Vorteile der Gesamtschulen auszugleichen. Den integrativen Unterricht ersetzt dies freilich nicht.