Studie: Lohn-Unterschiede immer krasser
Einkommen der Geringverdiener sinkt seit 1995 um 14 Prozent.
Gelsenkirchen. Die Schere zwischen niedrigen und hohen Löhnen klafft immer weiter auseinander. Die Realeinkommen des am wenigsten verdienenden Bevölkerungsviertels seien zwischen 1995 und 2006 um fast 14 Prozent gesunken, berichtete gestern das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Die Bestverdiener hätten dagegen ein reales Lohnplus von 3,5 Prozent verbucht, hieß es in der Studie, die das IAQ im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung angefertigt hatte.
Zu den Verlierern gehören den Wissenschaftlern zufolge nicht nur Minijobber und Teilzeitkräfte, sondern auch Geringverdiener mit Vollzeitstellen. Die Reallohnverluste reichten sogar bis in die mittleren Einkommensgruppen.
Fast jeder Vierte - 22,2 Prozent oder 6,5 Millionen Menschen - verdiente sein Geld 2006 im Niedriglohnsektor. 1995 waren dies erst 15Prozent. Das sei der höchste Anteil in der EU. Die Zahl der Gutverdiener stieg von 21,8 auf 26,3 Prozent. 1,9 Millionen Menschen bekamen 2006 sogar weniger als fünf Euro brutto je Stunde. "Gleichzeitig haben sich die Lohnunterschiede zwischen Großbetrieben und kleineren Betrieben, die oft keine Betriebsräte haben, sowie zwischen den Branchen mit hoher und geringer Tarifbindung deutlich erhöht", schreiben die Autoren.
Die Forscher gehen davon aus, dass sich der Trend zu einer stärkeren Lohnspreizung seit 2006 nicht umgekehrt hat - trotz der teils höheren Lohnvereinbarungen. Sie plädieren deshalb für einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn.
Insgesamt seien aufgrund geringer allgemeiner Lohnsteigerungen die durchschnittlichen Realeinkommen von 1995 bis 2006 lediglich um 0,2 Prozent gestiegen, schreiben die Autoren in den WSI-Mitteilungen (8/2008) der Hans-Böckler-Stiftung.
Als Ursache für die schwache Lohnentwicklung nennen die Forscher eine starke Zunahme der Beschäftigung im untersten Lohnbereich von brutto unter sieben Euro Stundenlohn. Der Anteil des mittleren Lohnsektors sei um elf Prozentpunkte auf 52 Prozent gesunken und habe vor allem nach unten abgegeben.
Das wachsende Lohngefälle sieht das IAQ durch "politische Interventionen massiv gefördert", unter anderem durch europäische Wettbewerbsregelungen. Genannt werden Direktiven zur Privatisierung wie in den Bereichen Post oder Telekommunikation oder zur Dienstleistungsfreiheit, wodurch Arbeitskräfte nach Deutschland zu Lohnbedingungen ihres Heimatlandes entsandt werden können - ausgenommen in der Bauwirtschaft. Zudem hätten die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen die Entwicklung forciert.