SPD sieht sich in der Tradition Raus
Die Sozialdemokraten wollen sich das politische Erbe von Johannes Rau nicht von Jürgen Rüttgers streitig machen lassen.
Wuppertal. Als Johannes Rau 1958 mit 27 Jahren als jüngster Abgeordneter in den Düsseldorfer Landtag einzog, konnte niemand ahnen, welche Rolle der gebürtige Wuppertaler noch für seine Partei, für Nordrhein-Westfalen und für Deutschland spielen sollte. Mit seiner Wahl 1978 zum Ministerpräsidenten begann die Ära der absoluten SPD-Mehrheiten in NRW.
Fast 20 Jahre lang regierte Rau. Am Samstag erinnerte die Landes-SPD mit einer würdevollen Veranstaltung in der beeindruckend schönen historischen Stadthalle in Wuppertal an den Amtsantritt des Ministerpräsidenten vor 30 Jahren.
Parteichef Kurt Beck betonte in seiner Rede, dass Rau der SPD den Auftrag hinterlassen habe, "Schutzmacht der kleinen Leute zu sein". Der Partei könne er "heute und in Zukunft Orientierung geben".
Wie sehr die SPD in einer Zeit, da sie ihren Charakter als Volkspartei zu verlieren droht, Orientierung braucht, zeigte auch das Großaufgebot an Prominenz, das die Sozialdemokraten in Wuppertal aufboten.
Dazu gehörten Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, der zu den Rau-Nachfolgern als Ministerpräsident gehörte, sowie der frühere SPD-Chef Franz Müntefering, der sich erstmals wieder der Öffentlichkeit zeigte - deutlich gezeichnet von der Trauer um seine verstorbene Frau. Nur der zuletzt in Ungnade gefallene Rau-Nachfolger Wolfgang Clement blieb der Veranstaltung fern.
Zu den Gästen, die von SPD-Landeschefin Hannelore Kraft "von ganzem Herzen" begrüßt wurden, gehörte auch NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Der CDU-Politiker hatte in der Vergangenheit immer wieder betont, dass er sich in der Tradition Johannes Raus sehe, und - sehr zum Verdruss der SPD - keine Gelegenheit ausgelassen, sich als rechtmäßiger politischer Erbe des früheren Landesvaters zu inszenieren.
In Wuppertal nun versagte ihm die SPD, eine Rede zu halten, was Rüttgers äußerlich zunächst unbeeindruckt ließ. Später, vor den Fernsehkameras, zeigte er sich dennoch säuerlich. Rau sei ja "nicht nur Parteimann, sondern auch Ministerpräsident" gewesen, sagte er und fügte als kleine Spitze hinzu: "Natürlich hat, wenn eine solche Partei eine Veranstaltung macht, das auch etwas mit Selbstfindung zu tun."
An Spitzen gegen Rüttgers hatte es zuvor auch in einer Rede Hannelore Krafts nicht gemangelt. "Bei Johannes Rau haben Reden und Handeln übereingestimmt", sagte sie mahnend - jeder im Saal wusste, wem diese Mahnung galt. Der große Sozialdemokrat habe sich immer "gegen eine Durch-Ökonomisierung aller Lebensbereiche" ausgesprochen. Und dann erwähnte Kraft ein Rau-Zitat, das die Politik der aktuellen schwarz-gelben Landesregierung entlarven soll: "Mit Studiengebühren entfaltet man zusätzliche soziale Hürden."
Ganz jenseits der Tagespolitik blieb die anrührende Rede von Avi Primor, dem früheren israelischen Botschafter in Deutschland, der mit Johannes Rau nicht zuletzt auch wegen dessen Engagements für Israel befreundet war.
Einmal sei er, da war Rau schon Bundespräsident, zu einem Frühstück "mit persönlichen Freunden" eingeladen worden, erzählte Primor. "Ich dachte, da kommen vier, fünf Leute", so intim habe die Einladung gewirkt. Tatsächlich seien mehr als 100 Gäste gekommen, "und das Erstaunliche war", so Primor, "es waren wirklich alles Freunde".
So einen wie Rau, seufzten später einige SPD-Genossen, könne man heute dringend gebrauchen. Aber da gibt es ja noch Franz Müntefering. Der 68-Jährige traf sich am Rande der Veranstaltung mit Beck zu einer Unterredung. Danach sagte er unserer Zeitung nur kurz: "Es gibt nichts Neues."
Im Herbst, meldet der "Spiegel", will er sich mit einem Buch in die programmatische Debatte der Partei einschalten. Angeblich sollen darin auch politische Hinweise auf die Agenda nach der "Agenda 2010" enthalten sein.