Wie Steinmeier den Schröder macht
Der Vizekanzler hält eine starke innenpolitische Rede und zeigt so, was er gerne los werden will.
Düsseldorf. Interview mit einem Spitzenpolitiker der SPD vor einigen Wochen. Frage: "Kommt SPD-Chef Kurt Beck zur Johannes-Rau-Feier nach Wuppertal?" Antwort: "Ja, er kommt." "Und der Kanzlerkandidat?" "Das steht noch nicht fest." Pause. "Verdammt, jetzt habe ich mich verraten." Schnell schaltet sich der Pressesprecher ein: "Diese Passage wird bei der üblichen Autorisierung natürlich aus dem Interview herausgestrichen." Schade!
Andererseits: Das Geheimnis, das die SPD-Spitze krampfhaft hüten möchte, ist inzwischen so offen, dass das Wort "geheim" in dem Zusammenhang lächerliche Züge bekommt. Jeder weiß: Beck wird nicht Kanzlerkandidat, Kanzlerkandidat wird Frank-Walter Steinmeier. Nur offiziell sagen will das noch keiner, schon gar nicht der Kandidat selbst.
Der fand am Donnerstagabend den Weg zu einer Veranstaltung der SPD in den Düsseldorfer Rheinterrassen. Im Wahlkampf um das Amt des verstorbenen Oberbürgermeisters Joachim Erwin setzt Bewerberin Karin Kortmann auf Schützenhilfe aus Berlin. "Da habe ich sofort an Dich gedacht", begrüßt sie den Vizekanzler. Es ist eine Begrüßung von Kandidatin zu Kandidat, nur dass Kortmann das so keinesfalls formulieren darf. Stattdessen sagt sie: "Du bist der Hoffnungsträger neben Kurt Beck." Das nun klingt wie ein vergiftetes Lob, obwohl es eigentlich nett gemeint ist.
Steinmeier lächelt darüber hinweg und beginnt mit einer denkwürdigen einstündigen Rede - denkwürdig deshalb, weil es ein ebenso perfekter wie ungewöhnlicher Auftritt wird. Denn zu begutachten ist an diesem Abend nicht der Außenminister, der mit von der Schwere des Amtes heruntergezogenen Mundwinkeln Stellungnahmen zur Kaukasus- oder Nahost- oder Afghanistan- oder Wo-auch-immer-Krise abgibt. Steinmeier sagt fast gar nichts zur Außenpolitik. Seine Themen sind diesmal Arbeit, Bildung, Energie; er spricht von echten sozialdemokratischen Legenden (wie Johannes Rau) und falschen (wie Jürgen Rüttgers). Es ist die Rede eines SPD-Kanzlerkandidaten.
Nicht kleinmütig solle die SPD sein, ruft er seinen Genossen mit rauer und doch kräftiger Stimme zu, nicht "ängstlich Rückschau halten". Wieder muss man an Kurt Beck denken, der an entscheidender Stelle die Agenda 2010 von Gerhard Schröder aufgeweicht hat, statt sich mutig für eine Fortsetzung der Reformpolitik einzusetzen. Für die steht auch Steinmeier ganz persönlich. Er war damals Chef des Kanzleramts. Er war der kleine Schröder. Heute ist er Schröder XXL.
Besonders klar wird es, wenn man die Augen schließt und Steinmeier nur noch zuhört. Er imitiert den Schröder-Sound inzwischen so perfekt, dass man schnell wieder auf die Bühne schauen muss, um sich zu vergewissern, dass es nicht einen fliegenden Wechsel der Redner gab.
Das setzt sich in der Gestik fort. Schröder steht am Rednerpult meist mit einer Hand in der Tasche. Die andere fährt dann nach vorne, die Handfläche ist nach oben hin geöffnet, so als würde eine Kugel in ihr liegen. Ab und an dreht Schröder den Oberkörper nach rechts und links aus einem festen Stand heraus. Genau so macht es Steinmeier.
"Die SPD gestaltet und prägt unser Land seit 150 Jahren", sagt er, "darauf darf man gelegentlich stolz sein." Gelegentlich, sagt Steinmeier, es war bisher Schröders Lieblingswort, weil es so schön nach Understatement klingt. Steinmeier sagt an diesem Abend mehrmals "gelegentlich".
Nun könnte man sich enttäuscht abwenden: Wer will schon eine Kopie? Doch Steinmeier ist mehr als das. Immer wieder nimmt er Fahrt aus seiner Rede, lächelt charmant sein Grübchenlächeln. Das ist, aber das liegt natürlich im Auge des Betrachters, sympathischer als Schröders - gelegentliches - Haifischlachen.
Bleibt noch das Problem mit dem für Sozialdemokraten so wichtigen Stallgeruch. Ein Parteirechter wie Steinmeier steht ja per se in Verdacht, die falschen Duftmarken zu setzen. Nun steht auf einem Banner über ihm auch noch ausgerechnet: "Das soziale Deutschland." Der Redner weiß, was die Parteifreunde erwarten. Also wettert er gegen Studiengebühren und setzt sich für Mindestlöhne ein. Die Genossen jubeln. Und dann folgt noch der Hinweis, dass er aus einer ländlichen Gegend komme (es ist Detmold) und als erster aus seiner Familie Abitur gemacht habe. Ein Moderator würde jetzt sagen: 99 Punkte für den Kandidaten - den Kanzlerkandidaten!