Sicherheit In NRW leben mehr gefährliche Islamisten als in anderen Bundesländern

Sicherheitsexperte Peter Neumann vom Londoner King’s College warnt, dass sich das Täterprofil ändert. Kleinkriminelle, Frauen und Kinder werden immer mehr nützliche Handlanger des IS.

Beim bislang schwersten islamistischen Terroranschlag am 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz tötete der Attentäter den Fahrer eines Sattelzuges und lenkte diesen dann auf den Weihnachtsmarkt. Elf Menschen starben, weitere 55 wurden zum Teil schwer. Amri galt als „Gefährder“, es war bekannt, dass er Kontakte zu Islamisten hatte und sich in der Drogen- und Kleinkriminellenszene bewegte. (Archivfoto)

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Düsseldorf. Peter R. Neumann ist ein gefragter Mann bei Sicherheitsbehörden und Politik. Der 43-Jährige Professor für Sicherheitsstudien ist Direktor des Internationalen Zentrums zur Erforschung von Radikalisierung am King’s College in London. Eine Denkfabrik, die ihre Aufgabe darin sieht, die Öffentlichkeit über terroristische Strukturen zu informieren und die Politik zu beraten, intelligente Ansätze gegen Radikalisierung zu finden.

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Das Institut recherchiert und analysiert Lebenswege von Terroristen, versucht herauszufinden, warum sie diese Wege gehen, beobachtet Veränderungen der Szene. Am Montag war Neumann aus London angereist, um Journalisten in Düsseldorf die aus seiner Sicht wichtigen Ansätze zu präsentieren. Dabei hatte er zunächst eine gute Nachricht im Gepäck. Das Tempo der terroristischen Anschlagsversuche habe abgenommen.

Deutschland sei auch nicht im Fadenkreuz des IS, eher Frankreich, Großbritannien und Amerika. Aber die Gefahr durch Rückkehrer, die in Syrien gekämpft und sich dort vernetzt haben und komplexere Anschläge durchführen könnten, bestehe nach wie vor. Und wohl auch noch auf Jahre. NRW sei dabei überproportional stark von der Bedrohung betroffen, weil hier mehr Gefährder als in jedem anderen Bundesland leben.

Es gebe aber auch neue Tätertypen. Neumann: „Der IS versucht, Frauen zu aktivieren. Bis vor zwei oder drei Jahren waren diese nur als Mütter und Helfershelfer gefragt, jetzt sagt der IS, dass auch Frauen selbst Anschläge verüben sollen.“

Das Täterprofil des betenden und Tee trinkenden Terroristen habe sich längst gewandelt. Dem IS gehe es gar nicht darum, Leute zu finden, die besonders an Religion interessiert sind, sondern man setze auf die Anziehungskraft brutaler Gewalt.

Neumann: „Wenn man Videos des IS anschaut, die sehen doch praktisch so aus wie Videospiele. Da darf man sich nicht wundern, wenn 13- oder 14-Jährige dadurch angesprochen werden.“ Auch unter 14-Jährige müssten die Sicherheitsbehörden ins Visier nehmen können, wenn diese eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, fordert Neumann.

Der IS rekrutiere seine Leute zunehmend aus Kleinkriminellen oder Mitgliedern von Gangs. Das sei aus IS-Sicht deshalb vielversprechend, weil diese Personen in ihrem Milieu Zugang zu Waffen und zu gefälschten Dokumenten hätten. Und: Bei ihnen sei die Hemmschwelle niedrig, wenn sie bereits vorher Gewalttaten verübt haben.

„Sie werden gelockt mit dem Versprechen der Erlösung. Ihnen wird vom IS gesagt: Du kannst weiter machen, was du bisher gemacht hast und diese Tätigkeit für eine gute Sache einsetzen. Und dann kommst du in den Himmel, und dir werden all deine Sünden vergeben.“ Das sei für einige dieser Kleinkriminellen ein attraktives Narrativ, sagt Neumann.

Eine der zentralen Lektionen aus dem Fall sei doch gewesen, dass die föderalen Strukturen nicht immer funktionieren — bei einem Täter, der sich zwischen mehreren Bundesländern bewegt. Neumann ist nicht der erste, der kritisiert, dass solche Täter von wechselnden Zuständigkeiten der Sicherheitsbehörden profitieren. Da habe sich noch nicht genug geändert, kritisiert er. Und plädiert auch dafür, dass das GTAZ, das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum, in dem sich 40 Sicherheitsbehörden (Polizei und Nachrichtendienste) von Bund und Ländern austauschen, gestärkt werden müsse. Dies brauche mehr Kompetenzen.

Für richtig hält es Neumann, dass die Politik mittlerweile eine harte Linie gegen sogenannte Hotspots islamistischer Rekrutierung fährt. Früher habe man noch geglaubt, es sei besser, etwa Moscheen, in denen charismatische Prediger andere radikalisieren, zu beobachten und so unter Kontrolle zu halten. Doch solche Hotspots, das wisse man inzwischen, entwickelten eine eigene Dynamik. „Es entstehen Szenen, die Leute aus anderen Bundesländern oder sogar aus dem Ausland anziehen, und da hat man bei Nicht-Eingreifen am Ende ein noch viel größeres Problem.“