Hannelore Kraft Rückenwind aus Würselen für die SPD
Wahlkampf-Auftakt: Samstagvormittag lässt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sich in Düsseldorf zur Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahl küren.
Düsseldorf. Die „Spiegel“-Leser unter den Genossen bekommen am Samstag zum Frühstück erstmal eine Portion Kampfgeist geliefert: Für ihre Verhältnisse geht Hannelore Kraft sowohl die Bundeskanzlerin als auch Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU) im Interview mit dem Magazin mit harscher Kritik an: Merkel solle das Flüchtlingsthema endlich zur Chefsache machen, de Maizière wirft sie mangelnde Fortschritte bei Abschiebungen vor.
Keine schlechte Vorlage für die Abstimmung, der sich die NRW-Ministerpräsidentin und SPD-Landesvorsitzende Samstagmorgen ab 10.30 Uhr im Congress Center der Düsseldorfer Messe stellt. Wichtigste Themen des außerordentlichen Landesparteitages: „Nominierung der Spitzenkandidatin zur Landtagswahl 2017“ und Beschlussfassung zum Wahlprogramm. Der Zeitpunkt könnte nicht besser gewählt sein, der SPD geht es gut wie seit langem nicht: In den vergangenen Wochen hat sie allein in NRW rund 2000 Mitglieder gewonnen. In den Umfragen liegt sie aktuell bei 36 Prozent — ihr bester Wert seit dem Winter 2015.
So weit, so problematisch: Denn das sind immer noch 3,1 Prozent weniger als bei der Landtagswahl 2012. Seit Herbst 2016 hat die rot-grüne Landesregierung (in Umfragen) keine Mehrheit mehr. Und dass der aktuelle Aufwärtstrend das Ergebnis aktueller Regierungsarbeit oder des Auftretens der Amtsinhaberin und Spitzenkandidatin ist, behauptet noch nicht einmal die Parteizeitung „Vorwärts“. Vor Ort ist man optimistisch, heiß es gestern in der Online-Ausgabe, „der Schulz-Effekt sorgt auch in NRW für Auftrieb“.
Das ist nach sieben Jahren Regierungsarbeit eher eine Problem-Beschreibung als eine rosige Aussicht. Vor allem, weil Hannelore Kraft und die SPD-Landtagsfraktion etwas mühevoll erklären müssen, wieso sie eigentlich schon immer für den Nordrhein-Westfalen Martin Schulz waren, aber seit dem vergangenen Herbst weder in öffentlichen Auftritten noch in Hintergrundgesprächen auch nur den Hauch eines Zweifels daran gelassen hätten, dass sie auf der Seite von Sigmar Gabriel standen.
Im aktuellen „Spiegel“ (und man darf mutmaßen: auch in ihrer Rede am Samstag auf dem Parteitag) versucht Hannelore Kraft es so: „Ich habe gesagt, dass der Parteivorsitzende das erste Zugriffsrecht hat, und ich habe immer deutlich gemacht, dass der Landesverband Nordrhein-Westfalen loyal zum Vorsitzenden steht. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass Sigmar Gabriel Kanzler könnte. Es ging aber darum, den Kandidaten mit den besten Chancen aufzustellen.“
Das klingt zunächst schlüssig, aber es passt eigentlich nicht zu einer Landesparteivorsitzenden, die kaum eine Gelegenheit für die öffentliche Erklärung auslässt, wie wenig Wert sie auf Umfragen legt, und dass sie nicht einmal an schlechten Tagen daran denkt, ihre Positionen nach Umfrage-Ergebnissen auszurichten. Preisfrage: Aus was außer Umfrage-Ergebnissen schließt Hannelore Kraft, dass der designierte SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz tatsächlich Kanzler kann? Und woran wird sie es festmachen, wenn der „Schulz-Effekt“ in den Umfragen möglicherweise in Kürze — zum Beispiel in einer neuen Griechenland-Krise — verpufft? Was, wenn der derzeitige Rückenwind aus Würselen die Richtung wechselt und der NRW-SPD ins Gesicht bläst?
Mit ihrem Wahlprogramm, das die Landes-SPD Samstagmorgen nach der Kür der Spitzenkandidatin beschließt, wird sie kaum Begeisterungsstürme auslösen. Der sperrige Untertitel „Politik für die solidarische Mehrheit in NRW“ ließe sich auch in zwei Worten zusammenfassen: weiter so. Der NRW-Plan „zeichnet die langen Linien sozialdemokratischer Regierungspolitik“, heißt das im Antragsentwurf.
Auf den 107 Seiten des Entwurfes findet sich wenig Neues, die Schlüsselworte sind Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Wie offensiv sich die NRW-SPD am Ende wirklich für eine darin weiter geforderte Vermögensteuer einsetzt, bleibt abzuwarten, zumal es dazu auf der Bundesebene der Partei unterschiedliche Meinungen gibt.
Wie wenig Personal-Entscheidungen nach Umfrage-Windstärke in Wahrheit zu Kraft passen, zeigt vor allem das Festhalten der Ministerpräsidentin an ihrem Innenminister Ralf Jäger. „Ich setze keinen Innenminister ab, nur weil jemand glaubt, ihn im Wahlkampf zum Abschuss freigeben zu müssen. Das ist nicht meine Art, mit Menschen umzugehen“, wiederholt Kraft dazu im „Spiegel“ am Samstag.
Während die FDP offen Jägers Rücktritt verlangt und die CDU ihm Versagen vorhält, hoffen beide heimlich, dass Kraft bei dieser Haltung bleibt. So können sie ihn regelmäßig auf den Grill im neuen Untersuchungsausschuss zum Fall Amri werfen; ohne Ralf Jäger und seinen Hang zur vorauseilenden Selbstverteidigung würde das wohl schnell langweilig.
Krafts Entlastungs-Angriff am Samstag auf Merkel und de Maizière wies die CDU/CSU-Fraktion bereits gestern Abend umgehend als „billiges Ablenkungsmanöver“ zurück: „Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin will offenbar vom Versagen Nordrhein-Westfalens im Fall Amri ablenken.“