Rüttgers blinkt wieder links
Der NRW-Ministerpräsident benennt in seinem neuen Buch „sieben Lebenslügen“ der aktuellen Politik. Er hat die SPD im Visier.
Düsseldorf. Das Schweigen im Sommer war schon fast dröhnend: Für einen Monat hatte sich NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) in die sonnige Provence zurückgezogen, doch anders als 2005 und 2006, als er mit seiner Forderung nach einer Revision von Hartz IV und dann mit seiner Kritik an den "Lebenslügen" der neoliberalen Politikrichtung für Furore gesorgt hatte, gab er dieses Mal kein Interview. Das holte er nun nach.
In der heutigen Ausgabe des "Stern" erscheint ein Interview, mit dem sich Rüttgers erneut als "linker" CDU-Politiker präsentieren will. Es gilt gleichzeitig als Appetitmacher für sein Buch "Die Marktwirtschaft muss sozial bleiben", das in der kommenden Woche erscheint und in den Provence redigiert wurde.
Rüttgers wird es am 13. September in Berlin präsentieren - zusammen mit Klaus von Dohnanyi, dem 79-jährigen SPD-Veteranen. Und das zeigt auch schon die Hauptstoßrichtung des neuerlichen Angriffs: Rüttgers reitet wieder eine Attacke vornehmlich gegen die Sozialdemokraten.
Recht publikumswirksam benennt er "sieben Lebenslügen" der aktuellen Politik. Das erinnert den Leser gleich an die sieben Todsünden. Doch wer auf saftige Aktualisierungen der biblischen Ausführungen zu den Themen Neid, Gier oder Wollust hofft, wird durch recht trockene Analysen enttäuscht.
Unter dem Strich ist es eine Zusammenfassung der bekannten Rüttgers-Positionen. Sie sind allerdings weit davon entfernt, Allgemeingut in der CDU zu sein. Rüttgers wurde für seine latente Kritik an einem dezidiert wirtschaftsfreundlichen Kurs, den Kanzlerin Angela Merkel zunächst versprach, zuletzt bei der Wahl zum CDU-Bundesvize empfindlich abgestraft. Jetzt legt er nach, seine Kritik wird sicherlich Wellen auch innerhalb der Union schlagen.
Von Frank Uferkamp
Jürgen Rüttgers hat keine neuen Thesen, er bündelt sie nur: Deutschland ist nicht so schlecht, wie es gemacht wird; die Arbeitnehmer arbeiten hart; die Steuern sind nicht zu hoch; weniger Steuern garantieren keine neuen Arbeitsplätze. Das alles ist wohlbekannt. Es gibt eine Partei, die genau das Gegenteil von diesen Thesen vertritt. Das ist die FDP. Und die regiert mit Rüttgers in NRW. Mit der handelt er hier anders, als er es in Büchern schreibt oder Hamburger Journalisten erzählt: Er macht eine lupenreine bürgerliche Politik, so wie es der Wähler wollte. Gleichwohl birgt sein politisches Mimikry Brisanz - für die SPD. Denn die ist im Bund gelähmt, hat kein Rezept gefunden, alte Sozialkompetenz zurückzugewinnen. Rüttgers wird die Schlacht für die Union nicht gewinnen. Aber er lässt nicht locker.