Solinger Brandanschlag jährt sich zum 20. Mal

20 Jahre nach dem fremdenfeindlichen Brandanschlag auf das Haus der türkischen Familie Genç gedenkt Solingen an diesem Mittwoch seiner schwärzesten Stunde.

Solingen (dpa). Das Dach weggebrannt, die Fenster zerplatzt, das Wohnhaus eine Ruine. In der Flammenhölle der Unteren Wernerstraße sterben am 29. Mai 1993 in Solingen fünf türkischstämmige Mädchen und Frauen. Das Feuer ist der traurige Höhepunkt einer Reihe rechtsextremistischer Anschläge in Deutschland. Vier junge Männer werden schließlich vom Oberlandesgericht Düsseldorf als rechtsradikale Mörder verurteilt. Inzwischen sind sie alle wieder auf freiem Fuß.

Vor 20 Jahren rüttelte der Anschlag die Weltöffentlichkeit auf. An diesem Mittwoch kommen Vertreter der türkischen Regierung, der Bundes- und der Landesregierung nach Solingen - als Demonstration und Mahnung für ein friedliches Miteinander.

Wo das Haus war, stehen heute fünf Kastanien für die Opfer. Ihre Namen sind auf einer kleinen Metallplatte eingraviert. Mevlüde Genç verlor hier zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. 14 Familienmitglieder überlebten mit teils schwersten Brandverletzungen. Die alte Dame besucht einmal im Monat den Ort. „Wenn sie nicht hinginge, würde sie sich nicht wohlfühlen“, sagt ihr Dolmetscher.

Die Gençs sind in Solingen geblieben, und die Stadt ist dankbar dafür. In der aufgewühlten Stimmung nach dem Brandanschlag, als wütende türkische Jugendliche durch die Stadt zogen, meldete sich das weibliche Oberhaupt der Familie zu Wort. „Lasst uns Freunde sein“, sagte damals Mevlüde Genç, die selbst Opfer ist, in einem ergreifenden Appell. Seitdem tritt sie immer wieder für Verständigung und Dialog ein, hat das Bundesverdienstkreuz bekommen und den Bundespräsidenten mitgewählt.

Die Industriestadt im Bergischen Land nimmt den traurigsten Tag in ihrer Geschichte zum Anlass, auch nach vorne zu schauen. Während der Gedenkveranstaltung wird der „Silberne Schuh“ verliehen. Der Preis für Zivilcourage würdigt mutiges Eintreten für Minderheiten. Erster Preisträger war 2004 ein Mann, der sich der Anweisung seines Chefs widersetzt hatte, keine Türkinnen mehr einzustellen.

Die Integrationsarbeit in Solingen ist inzwischen anerkannt. Als etwa im Mai 2012 radikale islamistische Salafisten in Solingen einen Stützpunkt aufmachten, formulierten Stadt und muslimische Vereine eine gemeinsame Erklärung.

Was in der Nacht zu Pfingstsamstag 1993 geschah, erzählt Mevlüde Genç ihren kleinen Enkeln bis heute nicht. „Sie werden im Erwachsenenalter erfahren, was genau passiert ist“, sagt die 70-Jährige. Hier sei ihre Heimat, sagen Mevlüde und ihr Mann Durmus Genç. Ihr Sohn Kamil sieht das auch so: „Ich bleibe hier.“

Doch die NSU-Mordserie hat alte Wunden aufgerissen. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, kritisiert, dass Rassismus in Deutschland immer noch nicht konsequent bekämpft werde. Angst und Unsicherheit seien die Folge. Seit Solingen habe „sich leider nicht viel zum Positiven verändert“. „Es ist schlimm, wenn eine Bevölkerungsgruppe sich nicht sicher fühlt und das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden verloren hat“, sagt Kolat.