Interview SPD-Integrationsexperte zu Ditib: "Wir haben die Nase voll"
Der SPD-Integrationsexperte Ibrahim Yetim spricht im WZ-Interview über die Rebellen in der NRW-SPD, den Landesparteitag und die Foto-Aktion von Özil und Gündogan. Und er positioniert sich klar zum Moscheeverband Ditib.
Herr Yetim, fühlen Sie sich als Rebell in der SPD? Sie wollen am 23. Juni beim Landesparteitag in Bochum Schatzmeister werden, obwohl die zur Wahl stehende Führung mit André Stinka einen anderen Wunschkandidaten nominiert hat.
Ibrahim Yetim: Ich habe in einer Zeit, als Norbert Römer noch gesagt hat, er wolle wieder als Schatzmeister antreten, ihn angerufen und gesagt: Ich kandidiere ebenfalls. Dann hat er nach der Kutschaty-Wahl zum Fraktionsvorsitz gesagt, er tritt nicht mehr an. Eine Woche später gab es einen weiteren Bewerber.
Sie glauben an Ihre Chance?
Yetim: Ja, ich bin durchaus überzeugt davon. Jeder weiß, dass ich diese alten Strukturen nicht mehr will, das spreche ich seit einem Jahr in der Fraktion offen an. Die Notwendigkeit eines regionalen Ausgleichs in einem so großen Landesverband sehe ich durchaus, aber nicht jede Funktion sollte nach dem Wohnort ausgewählt werden. Viele Mitglieder haben den Hinterzimmer-Papp auf. So etwas will die Partei nicht mehr. Und: Ich habe eine klare Vorstellung vom Amt des Schatzmeisters. Es geht darum, wie wir uns für die Kommunal- und Europawahl aufstellen. Wir haben viele fähige Leute im Parteiapparat, die wir jetzt auch richtig einsetzen müssen.
Wenn der noch amtierende Landesvorsitzende Michael Groschek von „Basis statt Basta“ gesprochen hat, findet man das bei der Neuaufstellung der Partei nicht unbedingt wieder. Empfinden das viele als Farce?
Yetim: Ich glaube, es gibt viele, die unter Erneuerung auch verstehen, die Wahl zu haben.
Hätten Sie eine Kandidatur von Kutschaty erwartet?
Yetim: Am Anfang schon. Aber ich glaube, er will jetzt erst einmal seine Rolle als Chef der Fraktion finden. Und er macht das gut, ist in den Themen, lässt Diskussionen zu und hat viele eigene Ideen, wie man Regierung treiben kann. Das gelingt ja. Langsam tun sich die ersten Risse in der Koalition auf, zum Beispiel beim Kopftuchverbot. Wir haben uns sortiert, jetzt greifen wir an.
Wie stehen Sie zum Kopftuchverbot an Grundschulen?
Yetim: Ich bin kein Freund des Kopftuchs, die SPD auch nicht. Aber: erstens ist das kein zahlenmäßiges Problem, was auch die Landesregierung bestätigt. Und: Wenn ich in die Religionsfreiheit eingreife, dann muss ich das für alle machen. So aber ist es nur ein Verbot muslimischer Zeichen. Das geht nicht.
Wie sehen Sie die Integrationspolitik der Regierung?
Yetim: Es gibt in Sachen Integrationspolitik von der neuen Landesregierung keine neuen Impulse. Die kommunalen Integrationszentren, die immer nach vorne gestellt werden, haben wir aufgebaut. Ich würde mich gerne an neuen Ideen reiben. Aber: Fehlanzeige. Wir diskutieren im Ausschuss mehr um den Bereich Flüchtlinge und Abschiebung. Das hat auch was mit der Struktur des Hauses zu tun. Familie, Kinder, Asyl und Integration - das ist einfach zu viel, Integration fällt herunter.
Hätten Sie Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit zur Fußball-WM mitgenommen?
Yetim: Man merkt an den beiden, dass wir im Bildungsbereich noch viel Arbeit haben. Beide sind sich wohl nicht im Klaren darüber, in welchem Land sie aufgewachsen sind und was sie diesem zu verdanken haben: Demokratie, Meinungsfreiheit, aber auch Sportförderung und Schulbildung zum Beispiel. Und was es bedeuten würde, wenn man in der Türkei leben würde. Dass man diesen Unterschied zwischen der heutigen Türkei und Deutschland nicht sieht, das hat was mit einer verzerrten Wahrnehmung zu tun. Als ich das Bild sah, dachte ich: wie dämlich muss man sein bei dieser aufgeheizten Debatte, die wir aktuell und auch im vergangenen Jahr beim türkischen Verfassungsreferendum hatten. Aber: Ich hätte sie trotzdem mitgenommen, wir wollen ja gewinnen.
Warum wählen auch in Deutschland so viele Türken Erdogan?
Yetim: Ein Problem ist die Gleichschaltung der türkischen Medien. Die Türken in Deutschland bekommen dadurch von Erdogan gefilterte Informationen. Erdogan schafft es, insbesondere die religiösen Gefühle anzusprechen. Viele die hier sind, kamen vom Land, sind in der Regel sehr konservativ und religiös geprägt. Dazu kommt die Erfahrung der ersten Gastarbeiter, dass sie selbst nach 50 Jahren in Deutschland nicht einmal bei der Wahl des Bürgermeisters mitentscheiden dürfen. Das führt zu dem Gefühl, nicht dazuzugehören. Und das weiß Erdogan zu nutzen.
Wie kann aus Ihrer Sicht noch eine Zusammenarbeit mit der Religionsbehörde Ditib aussehen?
Yetim: Wir haben die Nase voll nach den fortwährenden Vorfällen mit Spionage-Aktivitäten und kriegsverherrlichenden Theaterstücken in Moscheen. Das sind alles keine Einzelfälle mehr, das ist gesteuert. Ich würde mir wünschen, dass wir nichts mehr mit Ditib machen, auch wenn mir das um die eine oder andere fortschrittliche Moschee leid täte. Aber dieser Verband kann— solange er sich nicht von der türkischen Regierung löst — kein Ansprechpartner mehr für uns sein.