Steinkohlekraftwerk besetzt Das neue Feindbild heißt jetzt Datteln 4
Datteln/Kerpen. · Vom „Hambi“ ins neue Kraftwerk: Die Aktivisten haben ihr neues Symbol gefunden. Dabei ist der Kampf um den Wald nicht vorbei.
Die Besetzung von Datteln 4 ist eine Kampfansage: Umweltaktivisten dringen am Sonntag im Morgengrauen auf das Gelände des umstrittenen neuen Steinkohlekraftwerks im Ruhrgebiet vor. Es herrscht Dauerregen. Mehr als 100 Menschen entrollen Transparente auf zwei Verladeanlagen: „Exit Coal. Enter Future“ – auf Deutsch: raus aus der Kohle, rein in die Zukunft. Zeitweise kreist ein Polizeihubschrauber in der Luft, Mannschaftswagen mit Beamten fahren auf das Gelände.
„Wir werden gegen Datteln 4 kämpfen, so wie wir um den Hambacher Forst gekämpft haben“, kündigen die Aktivisten an. Das 1100-Megawatt-Kraftwerk soll entgegen der Empfehlung der Kohlekommission noch im Sommer dieses Jahres ans Netz gehen. Datteln 4 als neues Feindbild der Anti-Kohle-Kämpfer.
Die Aktivisten, dazu gehört auch wieder das Aktionsbündnis „Ende Gelände“. Es steht für spektakuläre Massenaktionen im Rheinischen Tagebaurevier im Kampf gegen Kohle und Klimawandel. Tausende mobilisierte das Bündnis immer wieder für den Sturm auf die Tagebaue. Der Hambacher Forst zwischen Köln und Aachen, der ursprünglich dem Braunkohleabbau weichen sollte, war das Sinnbild für den Konflikt: „Hambi bleibt“, skandierten die Demonstranten.
Waldbesetzer wollen „subversive Energie“ verlagern
Aber nach der Kohle-Einigung scheint die Symbolkraft des Hambacher Forstes nicht mehr richtig zu tragen. Die Botschaft aus Berlin und Düsseldorf verfängt, je weiter man weg ist vom Rheinischen Revier: Die Bundesregierung verkündete nach der Kohle-Einigung von Bund und Ländern die Rettung des Waldes. „Das ist ganz klar ein Versuch, ein Symbol zu befrieden und auszuhöhlen. Wir schlagen deshalb vor, die subversive Energie über den Hambacher Forst hinauszutragen“, reagierten die Waldbesetzer. Unter den Besetzern des Kohlekraftwerks sind auch Aktivisten aus dem Hambacher Forst. Kenner der Szene hatten erwartet, dass Datteln 4 zum neuen Feindbild der Bewegung werden könnte.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat ein hartes Vorgehen der Sicherheitskräfte bei künftigen Protestaktionen angekündigt. „Auch wer für einen guten Zweck demonstriert, muss sich an Recht und Gesetz halten – sonst können wir den Rechtsstaat einpacken“, sagte Reul der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ). Dabei ist der Konflikt um den Hambacher Forst immer noch nicht befriedet. Die Gewalt im Wald reißt nach Polizeiangaben nicht ab: Es gibt weiter Brandanschläge und Gewaltattacken wie vor Kurzem noch mit einem Pflasterstein auf Security-Mitarbeiter des Energiekonzerns RWE. Waldschützer sehen den Wald am Tagebau Hambach weiterhin bedroht.
Hambacher Forst noch lange nicht gerettet
„Hambi gerettet? Noch lange nicht“, sagt auch Andreas Büttgen von der Bürgerinitiative „Buirer für Buir“. Wer Richtung Nordwesten zum Waldsaum läuft, nimmt durch die Bäume irgendwann die Konturen dieses unglaublich mächtigen Baggers wahr: Wie nah er dem Wald gekommen ist.
Das Vertrauen gegenüber RWE und der Landesregierung habe sehr gelitten. „Wir haben nur Worte auf Papier“, sagt Büttgen. Und auf dem Papier steht nach der Bund-Länder-Einigung zum Kohleausstieg: Der Wald werde für den Braunkohletagebau nicht in Anspruch genommen. Das heiße aber noch lange nicht, dass der Wald überleben werde, meint der Mann. „Wir brauchen 500 Meter Puffer, damit der Wald nicht austrocknet“, argumentiert er mit Bezug auf eine Greenpeace-Studie. Demnach wirkt der Tagebau an heißen Sommertagen wie ein Brutofen, der dem Wald alle Feuchtigkeit entzieht. Ein wiederbewaldeter Puffer von 500 Metern müsse den Wald vor dem Austrocknen schützen.
Der Betrieb des Tagebaus Hambach werde auch künftig einen angemessenen Abstand zu dem verbliebenen Waldstück halten, stellt RWE fest: „So ist sichergestellt, dass weder der Wurzelbereich noch die Baumkronen Schaden nehmen können“. Die Wasserversorgung sei durch den Tagebau nicht gefährdet. RWE will nach eigenen Angaben der Landesregierung Anfang Februar die Umplanung für den Tagebau vorlegen. Für Rekultivierung und sichere Erdböschungen würden „erhebliche“ Abraummassen und Kultivierungsmaterial aus dem genehmigten Abbaufeld gebraucht – aber weniger, als mal geplant.
Auch wenn „Hambi“ als Insel in der Tagebaugrube vom Tisch ist, sieht der Umweltverband BUND die Gefahr einer ökologischen „Verinselung“ – nämlich dann, wenn die Bagger weiterhin so nah am Waldsaum graben würden. Damit würde die Chance verpasst, den Wald zum Kern eines Biotopverbundsystems zu machen, sagt BUND-Sprecher Dirk Jansen. Der lange Rechtsstreit im Zusammenhang mit dem Tagebau könnte für den Umweltverband noch nicht vorbei sein, macht Jansen deutlich. Nach dem Auslaufen des Hauptbetriebsplanes Ende 2020 brauche RWE eine neue Genehmigung. „Da haben wir alle Rechtsmittel“, sagt Jansen.