Terrorprozess gegen Prediger Sven Lau redet — aber nur im Video

Drei Zeuginnen verweigern die Aussage, dafür zeigt der Richter Filme im Oberlandesgericht.

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Düsseldorf. Sein Mandant werde sich schweigend verteidigen. Das hatte Sven Laus Anwalt am ersten Verhandlungstag gesagt. Doch gestern, am zweiten Preozesstag, redet im Oberlandesgericht Düsseldorf fast nur einer: Sven Lau. Freilich kommt der Redeschwall des heute 35-Jährigen Salafistenpredigers aus der Konserve. Der Vorsitzende Richter Frank Schreiber hat nämlich den großen Verhandlungssaal des Hochsicherheitsgebäudes in Düsseldorf-Hamm verdunkelt und zum Kinosaal umfunktioniert. Der live weiterhin schweigsame Lau folgt aufmerksam seinen eigenen Worten. Wie er da in einem Video, vor einer tiefblauen Weltkugel sitzend, seine Welt erklärt. Titel: „Mein Weg zum Islam“.

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Doch bevor der Richter den Film startet, gibt es noch den bizarren Auftritt von drei Zeuginnen. Laus Ehefrau (38) und deren Mutter (62), beide in langen Gewändern und mit bedecktem Haar. Und danach die 54-jährige Mutter des Angeklagten, die ihrem Sohn herzlich zuwinkt. Die drei waren zunächst zum falschen Gerichtsstandort in der Düsseldorfer Innenstadt gefahren, was zu einem verspäteten Prozessbeginn führte. Das Gericht hatte (wahrscheinlich nicht ernsthaft) gehofft, mit ihrer Hilfe das persönliche Umfeld des Angeklagten zu beleuchten. Alle drei lassen sich geduldig über ihre Rechte belehren und geben dann zu verstehen, dass sie von dem ihnen zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.

„Aber wir haben ja ein variables Programm“, sagt daraufhin Richter Schreiber. Um nicht wie am ersten Prozesstag die Verhandlung nach wenigen Minuten abbrechen zu müssen, startet er den auf zwei Leinwände projizierten Film.

Schon als Achtjähriger, so erzählt Lau in dem gut halbstündigen Video, habe er sich beobachtet gefühlt. Erst viel später habe er erfahren, dass Allah einen die ganze Zeit sehe.

Immer wieder habe er seine Mutter, seine Oma und andere Menschen gefragt, was denn nach dem Tod komme. Die Antwort „dann bist du tot“, habe ihn nie zufriedengestellt. Er wollte wissen: Was ist der Sinn des Lebens?

Er sei der Klassenclown gewesen, habe Fußball gespielt, war Fan von Werder Bremen. „Ich danke Allah, dass ich kein Hardcore-Fußballfan geworden bin“, sagt er in einer Art mitleidiger Verachtung. Mädchen kamen dazu, Spielsucht und Alkohol. Spaß, aber keinen Lebenssinn habe das bedeutet, sagt er.

Erst späte habe er gelernt, „dass man alles, was man getan hat, im nächsten Leben wieder vorgeführt bekommt.“ Auf den aus seiner Perspektive richtigen Weg habe ihn ein Türke gebracht — während seiner Ausbildung zum Industriemechaniker. Der sei so respektvoll, so warmherzig gewesen, habe mit ihm Pizza oder Börek geteilt. Und als er, Lau, ihn gefragt habe: „Warum bist du so?“, habe dieser geantwortet, dass „das Leben eine Prüfung“ sei. Da habe er endlich die Antwort auf seine Frage nach dem Sinn des Lebens gehabt.

Er habe sich eine Bibel gekauft und in einer Woche ganz durchgelesen, „um erst mal meine eigene Religion kennenzulernen“. Und er habe sich gefragt, warum alle, die er kenne, das, was da steht, nicht beachten. Und dann gab es für ihn da auch die Abschnitte in der Bibel, wo es, wie er es ausdrückt, „voll die Widersprüche gibt“.

So kommt Lau auf den Koran, tritt zum Islam über, betet fünfmal täglich. Und dann kommt er doch wieder in eine, wie er es nennt, „Schwächephase“. Er trinkt Alkohol, geht in die Disco, lernt eine Frau kennen und hat mit ihr zwei Kinder.

Das war nicht der richtige Weg, Allah habe ihm klare Zeichen gegeben, sagt er. Er habe eines Nachts eine Stimme im Ohr gehabt, die habe gesagt, wenn du so weiter machst, wirst du eine Strafe bekommen. Und dann gibt er allen, für die das auf der Internetplattform Youtube hochgeladene Video offenbar eine Art Gebrauchsanleitung zum richtigen Leben sein soll, den Rat: „Nicht die nächstbeste Frau nehmen, lieber zwei, drei Jahre warten, und man hat dann was Vernünftiges.“

All das erklärt Lau mit freundlich-eindringlicher Bekehrerstimme. Doch damit sich dieser Eindruck nicht allzu sehr festsetzt, zeigt Richter Schreiber noch zwei weitere Videos, die beweisen, dass der Prediger auch ganz anders kann. In einem Film, in dem es um „Lieben und Hassen für Allah“ geht, sitzt Lau vor einem Bücherregal mit Stehlampe, ab und zu ist Kindergeschrei im Hintergrund zu vernehmen. Der bärtige Mann schaut jetzt längst nicht mehr so freundlich, wechselt zwischen arabischen und deutschen Wortbrocken und spricht in aggressivem Ton davon, dass man anfangen müsse zu handeln, sonst ändere sich nichts.

In einem dritten Video ist er dann in weißem Gewand mit weißer Kopfbedeckung zu sehen. Predigergestus. Mal mit ausgebreiteten Armen, mal mit erhobenem Zeigefinger klagt er an. Es ist der Tag, an dem bekannt geworden war, dass Al-Kaida-Chef Osama bin Laden getötet wurde. Er rügt all diejenigen, die sich über den Tod Bin Ladens freuen und attackiert die Verantwortlichen. Die Amerikaner, die so viel Blut an ihren Händen hätten — Lau zieht den Bogen von den Indianern bis zum Krieg im Irak.

Seinen Reden fügt er jeweils eine Art Schlussformel hinzu: „Wenn ich etwas Gutes gesagt habe, dann ist das von Allah, wenn es etwas Schlechtes war, dann ist das von mir.“

Die Videos, die auf CDs gespeichert den Gerichtsakten beiliegen, tragen freilich nichts zur Aufklärung der Tatvorwürfe bei. Doch sie sind wichtig, um den persönlichen Hintergrund näher zu erhellen. Beweismaterial, auf das man üblicherweise bei schweigenden Angeklagten in einem Strafverfahren nicht zurückgreifen kann — wer legt sonst schon sein Innerstes so detailreich und öffentlich dar?