Nervenkrieg um die britische Parlamentswahl

Gordon Brown ist als Premierminister plötzlich wieder im Aufwind. Die Tories haben das Nachsehen.

London. Drei Jahre lang hat der britische Premierminister tagtäglich Prügel eingesteckt. Seine Charakterschwächen, Putschversuche, die schwere Rezession und auch saftige Skandale - kaum eine Amtszeit hat Labour so nah an den Abgrund gebracht wie die Ägide Gordon Browns. Doch jetzt beißt der Underdog zurück - mit erstaunlichem Erfolg.

Man stelle sich vor, es gibt eine Parlamentswahl, und keiner weiß, wann. Gewählt werden muss bis zum 3. Juni, doch dank des flexiblen britischen Politregelwerks darf der Regierungschef den exakten Termin so festlegen, wie es ihm gefällt. Und Brown nutzt das für einen Nervenkrieg gegen die Konservativen.

Für die Kampagnen-Planung der Tories ist Labours Last-Minute-Strategie eine Katastrophe: Angreifen lässt sich ein politischer Gegner, der drei Monate vor der Wahl nicht mal sein Programm verkündet hat, kaum.

Browns Kalkül zahlt sich indessen aus in einem Umfrage-Hoch. Nur zwei Prozentpunkte liegt Labour derzeit noch hinter den Tories. Im Dezember hatte er noch 20 Prozentpunkte betragen.

Verflogen ist die Siegeseuphorie, mit der die Konservativen auf ihrem Herbstparteitag voreilig Kabinettskandidaten vorgestellt hatten. Denn selbst, wenn die Tories ihren hauchzarten Vorsprung in einen Wahlsieg übersetzen, droht ihnen ein anderes Problem: Um eine klare Mehrheit im Unterhaus zu erzielen, benötigen die Tories einen zweistelligen Sieg.

Alles darunter führt zu einem "hung parliament" - einer Pattsituation bei der Sitzverteilung. In dem Fall bräuchten sie die Unterstützung der Liberalen, die derzeit bei 17Prozent liegen. Und bis zur Klärung der Systemblockade im Parlament - etwa durch eine weitere Stichwahl - bliebe Gordon Brown im Amt.

Dementsprechend nervös agiert Tory-Chef David Cameron zurzeit. Beim Frühjahrsparteitag in Brighton versuchte er am Wochenende zu erklären, wofür die Tories überhaupt stehen. Doch ohne Angriffsflächen zur Abgrenzung bleiben ihm nur Allgemeinplätze. Und ausgerechnet sein Hauptargument, den "Wandel durch Cameron" zu wählen statt das "Desaster durch Brown", lässt die Briten kalt.

Ihre Sympathien fliegen Brown paradoxerweise wieder zu, seit ihn die eigenen Mitarbeiter als mobbenden Tyrannen enttarnten - jemand, der mit Kugelschreibern wirft, brüllt und Leute umstößt, die ihm im Weg stehen.

Es mag nicht die feine englische Art sein, doch wird ihm sein grobes Sozialverhalten als Stärke angerechnet: Das "Prime Monster" gilt vielen als durchsetzungs- und daher regierungsfähiger als der wohlerzogene Cameron.

Rund 70 Tage vor der Wahl geht es nicht darum, dass Arbeitslosigkeit und Staatsschulden höher sind als bei Labours Regierungsantritt 1997. Was zählt, ist die Frage, wer das Land am besten führen könnte.