Netzaktivisten jubeln: EU-Parlament kippt Acta
Straßburg (dpa) - Das heftig umstrittene Anti-Piraterie-Abkommen Acta ist begraben. Das EU-Parlament hat es wie erwartet mit großer Mehrheit abgelehnt. Jetzt ist die EU bei dem Abkommen nicht dabei, und die Europäer müssen wohl oder übel wieder an den Verhandlungstisch.
Nur 39 Abgeordnete stimmten am Mittwoch in Straßburg für das internationale Vertragswerk. 478 waren dagegen und 165, in erster Linie Christdemokraten, enthielten sich der Stimme. Damit kann das Abkommen in der EU nicht in Kraft treten. Deutschland hatte bereits im Februar beschlossen, dem Vertrag die Unterschrift zu versagen und den Entscheidungsprozess der EU abzuwarten.
Christdemokraten im Europaparlament hatten bis zuletzt vergeblich versucht, die Abstimmung zu verschieben, um das Vertragswerk doch noch zu retten. Die EU-Kommission hat bereits klargestellt, dass es kein Neuabkommen geben werde. Sie will jetzt das Gutachten des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg (EuGH) abwarten, und dann die Lage prüfen.
Für das Urheberrecht in Deutschland ändert sich dadurch nichts. Die meisten Acta-Regeln gelten schon. International, aber ohne die EU, kann Acta in Kraft treten, doch Kritiker bemängeln grundsätzlich den Wert eines Abkommens, das Produktpiraterie bekämpfen soll, bei dem Staaten wie Indien und China jedoch nicht mitmachen. Acta wurde 2010 von der EU, den USA und weiteren Staaten vereinbart, darunter Australien, Kanada, Japan, Südkorea und die Schweiz.
Das Scheitern von Acta stieß auf gemischte Reaktionen. Vertreter von SPD, FDP, Grünen, Linken und Piraten begrüßten die Entscheidung. Der Vertrag sei auf „völlig intransparente Weise zustande gekommen“, erklärte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Im schlimmsten Fall hätte der Vertrag zu einer „erheblichen Beschränkung der Freiheit im Netz“ führen können. Die Reaktionen in der Union fielen unterschiedlich aus. „Es konnte keiner erklären, was eigentlich der Nutzen von Acta ist“, kritisierte der Netzpolitiker Thomas Jarzombek im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Dagegen bedauerte der außenhandelspolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Daniel Caspary (CDU), die Entscheidung. Statt Acta komplett abzulehnen, hätte man die Stellungnahme des EuGH abwarten sollen.
Der Netzaktivist Markus Beckedahl sagte unmittelbar nach der Abstimmung der Nachrichtenagentur dpa, es habe sich gezeigt, dass es eine „europäische Öffentlichkeit für digitale Grundrechte“ gebe, die zu einem Machtfaktor in Brüssel und Straßburg geworden sei. Im Internet-Dienst Twitter, wo die Kampagne gegen Acta ihren Ausgang nahm, wurde die Entscheidung vielfach bejubelt.
Auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen begrüßte das Acta-Ende. „Besonders die fehlende Unterscheidung im Vertragstext zwischen gefälschten Medikamenten auf der einen und legalen Generika auf der anderen Seite ist problematisch“, betonte das international tätige Netzwerk. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bedauerte hingegen das Scheitern. Piraterie schade deutschen Unternehmen - Acta „wäre ein wichtiger erster Schritt gewesen“, um einen internationalen Rechtsrahmen für den Schutz geistigen Eigentums zu schaffen.
Das „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“ sollte den Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie verbessern und Urheberrechte im Internet besser schützen. Selten war ein EU-Vertrag so umstritten: Zehntausende sind aus Protest Anfang des Jahres auf die Straße gegangen. Kritiker fürchten um die Freiheit im Internet und warnten vor Einschränkungen der Bürger- und Verbraucherrechte. Befürworter warnten, dass ohne Schutz des geistigen Eigentums der wirtschaftliche Schaden durch Produkt- und Markenpiraterie große Ausmaße annehmen würde.
Es ist nicht das erste Mal, dass das EU-Parlament seit der Erweiterung seiner Rechte durch den Vertrag von Lissabon ein internationales Abkommen kippt. Die Parlamentarier lehnten 2010 das Swift-Abkommen über die Weitergabe von Bankendaten an die USA ab, wegen Bedenken beim Datenschutz. Mit Nachbesserungen wurde das Abkommen einige Monate später akzeptiert.