Analyse Neues Polizeigesetz: SPD und Grüne sehen die Demokratie in Gefahr
Mehr als sechs Stunden sind Experten im Landtag zum geplanten Polizeigesetz befragt worden. Ein Überblick über die Möglichkeiten, die die Polizei erhalten soll - und die Kritik daran.
Düsseldorf. Dem Vernehmen nach will die schwarz-gelbe Mehrheit im Düsseldorfer Landtag das verschärfte Polizeigesetz noch vor der Sommerpause verabschieden. Und damit der Polizei zahlreiche neue Eingriffsbefugnisse an die Hand geben. Die Mehrheit im Landtag wird sich nicht davon abhalten lassen — trotz der Kritik von Grünen und SPD im Parlament und Protestlern von außerhalb, die eine „Gefahr für die Demokratie“ sehen. War es da nur eine Showveranstaltung, dass der Innenausschuss mehr als sechs Stunden 23 Sachverständige anhörte?
Dass die Anhörung deutlich länger dauerte als angesetzt, ließ zumindest die Experten hoffen, dass ihre Bedenken und Verbesserungsvorschläge noch Eingang in das Gesetzeswerk finden. Doch wirklich entscheidenden Einfluss dürften die Hochschulprofessoren, Polizeipraktiker, Datenschützer oder Menschenrechtler kaum haben. Das Polizeigesetz wird im Wesentlichen so kommen, wie Schwarz-Gelb es will.
Maria Scharlau von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte, dass durch das Gesetz „absolute Ausnahmebefugnisse im Gefahrenvorfeld, die empfindlich in Menschenrechte eingreifen, zum Werkzeug einer allgemeinen Verbrechensbekämpfung“ gemacht würden. Und: Wegen der Unbestimmtheit des Begriffs der drohenden Gefahr, der demnächst für ein Tätigwerden der Polizei ausreichen soll, sei für die Bürger nicht mehr vorhersehbar, welches Verhalten sie in den Verdacht bringen könne, eine drohende Gefahr darzustellen.
Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter dagegen machte darauf aufmerksam, dass sich die Polizei immer dann, wenn ein Anschlag passiere, die Frage gefallen lassen müsse, ob sie nicht alles getan habe, um Leib und Leben zu schützen. Deshalb brauche man weitergehende Eingriffsbefugnisse. Und Staatsrechtler Professor Christian von Coelln argumentierte, es sei zwar selbstverständlich, „dass der Rechtsstaat Rechtsstaat bleiben muss, er darf sich aber auch nicht zum Idioten machen lassen von Personen, die ihn für ihre Anschläge ausnutzen“.
Wie schon in Bayern, wo kürzlich ebenfalls neue, noch weitergehende polizeiliche Befugnisse eingeführt wurden, ist auch in NRW ein Begriff hoch umstrittenen: der der „drohenden Gefahr“.
Beim Polizeigesetz geht es um Gefahrenabwehr, das Bemühungen, Straftaten zu verhindern. Für darauf basierende Maßnahmen der Polizei bedarf es bislang einer konkreten Gefahr. Demnächst soll in bestimmten Fällen bereits eine drohende Gefahr ausreichen. Wenn aber die Polizei bei bloßem Verdacht einschreiten dürfe, so warnen etwa die Grünen, werde dadurch auch das Spektrum der von polizeilichen Eingriffen Betroffenen erweitert. Auch der SPD-Landtagsabgeordnete Hartmut Ganzke sieht eine massive Ausweitung der polizeilichen Befugnisse. Denn von einer drohenden Gefahr könne man ja bereits dann sprechen, wie Ganzke es ausdrückt, „wenn etwas irgendwann möglicherweise mal gefährlich werden kann“.
Neben diesem gewissermaßen vor die Klammer gezogenen Streit um einen zentralen Begriff des Polizeigesetzes geht es um zahlreiche konkrete neue Eingriffsbefugnisse, die die Polizei bekommen soll.
Schon jetzt ist Videobeobachtung an Kriminalitätsbrennpunkten möglich. Die Polizei installiert Kameras da, wo häufig Straftaten geschehen. Und kann so nach Betrachten der „Liveübertragung“ am Bildschirm schnell vor Ort eingreifen. Demnächst soll das nicht nur gelten, wenn an entsprechenden Orten schon Straftaten begangen wurden. Sondern bereits dann, wenn an bestimmten Orten „Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dort Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder begangen werden“. Kritiker sagen, dass dies zu einer uferlosen Videobeobachtung im Land führen werde. Polizeipraktiker sehen diese Gefahr schon deshalb nicht, weil der Polizei das notwendige Personal dafür fehle. Doch im Einzelfall brauche man durchaus diese Vogelperspektive, die der Blick durch das Kameraauge verschaffe.
Die Polizei soll Personen ohne Verdacht anhalten, nach ihrer Identität befragen sowie Fahrzeuge und Taschen in Augenschein nehmen können. Es muss aber zunächst tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat von erheblicher Bedeutung geben, die verhindert werden soll. Die Kontrollmaßnahme kann dann allerdings jedermann treffen. Professor Kyrill-Alexander Schwarz von der Uni Würzburg hat da keine Bedenken. Zwar gehe es um einen Eingriff von ganz erheblicher Streubreite, der besonders viele Menschen betreffe. Aber die Eingriffsintensität sei am Ende doch gering, beschränke sich auf Anhalts- und Sichtkontrolle. Das müsse im Interesse des Allgemeinwohls hingenommen werden.
Maria Scharlau von Amnesty International sieht das anders: Mit Blick auf jeden einzelnen Kontrollierten erfolge die Kontrolle ja verdachtsunabhängig. Bestimmte Personengruppen würden häufiger kontrolliert, anknüpfend an äußere Merkmale. Und für Außenstehende, die den Vorgang beobachten, sehe es so aus, als habe der Kontrollierte Dreck am Stecken. Das wiederum bestärke die Wahrnehmung in der Gesellschaft, dass Menschen mit bestimmten äußerlichen Merkmalen generell verdächtig seien. Man solle einmal die Perspektive derer einnehmen, die teilweise täglich mehrmals kontrolliert werden.
Neben der einfachen Telekommunikations-Überwachung (TKÜ), die die Polizei auch bisher schon anwenden konnte, soll nun auch eine sogenannte Quellen-Telekommunikations-Überwachung möglich sein. Damit können Ermittler auch auf verschlüsselte digitale Inhalte von Messengerdiensten (etwa Whatsapp) zugreifen. Eine Spionage-Software soll unbemerkt auf dem Smartphone oder dem Notebook installiert werden. Die Quellen-TKÜ (sie heißt so, weil sie schon an der Quelle mitgelesen wird, also bevor eine Nachricht verschlüsselt wird), soll ausschließlich bei drohender terroristischer Gefahr erlaubt sein.
Polizeipraktiker verweisen darauf, dass die Kommunikationsüberwachung für sie bei der Gefahrenabwehr besonders wichtig sei. Das dürfe sich nicht nur auf Telefongespräche beziehen, sondern müsse auch auf moderne Kommunikationskanäle erweitert werden. Griffig hatte Innenminister Herbert Reul (CDU) das so formuliert: „Wenn Terroristen ihre Anschläge längst per Whatsapp planen, können wir uns kein Polizeigesetz aus dem Wählscheiben-Zeitalter leisten.“ Kritiker halten dagegen, dass damit der Staat selbst ein Interesse daran habe, dass es Sicherheitslücken im System gebe. Und diese Sicherheitslücken würden dann auch böswillige Hacker für sich nutzen.
Bei einer drohenden terroristischen Gefahr soll auch die elektronische Aufenthalts-Überwachung potenzieller Täter möglich sein. Und zwar dann, wenn „das individuelle Verhalten der Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie in absehbarer Zeit terroristische Straftaten begehen wird“. Auch die Polizeipraktiker sagen, die Fußfessel könne nur ein Mosaikstein in ihrem Instrumentarium sein. Dabei sei vor allem die Technik ein Problem — so könne der Überwachte die Fessel mit Aluminium abdecken, und schon sei der Empfang weg. Auch ist allen bewusst, dass ein Anschlag damit nicht zu verhindern sei. Andererseits könne aber schon das Wissen um die polizeiliche Kontrolle Täter abschrecken.
Personen, die von der Polizei als Gefährder eingeschätzt werden, durften in NRW bisher nur maximal 48 Stunden in Gewahrsam genommen werden. Nach dem Gesetzesplan kann dieser Unterbindungsgewahrsam auf bis zu einen Monat verlängert werden — bei „drohender terroristischer Gefahr“. Während sich die Befürworter in der Pflicht fühlen, die Öffentlichkeit vor gefährlichen potenziellen Tätern zu schützen, weist Amnesty International darauf hin, dass eine so lange Inhaftierung unverhältnismäßig sei. Denn sie betreffe ja auch solche Personen, die sich bislang nicht einmal einer Straftat verdächtig gemacht haben müssen.
Die Polizei soll auch Distanz-elektroimpulsgeräte, sogenannte Taser, nutzen. Damit wird das Gegenüber durch Elektroschläge handlungsunfähig gemacht. Die Idee: Die Polizei kann körperlich oder technisch überlegenen oder psychisch kranken Gewalttätern besser entgegentreten. Die „Behandlung mit einem Taser“ sei das mildere Mittel gegenüber einem „Biss durch einen Diensthund“, argumentierte Michael Mertens von der Gewerkschaft der Polizei. Andere Polizeipraktiker wiesen darauf hin, dass mit diesem „Gerät, das Strom verschießt“, schon durch den bloßen Abschreckungseffekt viel erreicht werde. Kritiker befürchten Missbrauch durch Polizeibeamte, die ihrem Gegenüber Schmerzen zufügen wollten. Auch könne der Elektroschock zum tödlichen Risiko werden.