Steht Deutschland vor einem Baby-Boom?
In reichen Ländern sinkt die Geburtenrate – aber nicht für immer. Der Trend kehrt sich an einem bestimmten Punkt um, sagen US-Forscher.
Düsseldorf. Für einige Wochen im Februar dieses Jahres schien es, als sei die Trendumkehr bei der Geburtenrate erreicht. Stolz präsentierte Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) den Familienreport 2009 und rief einen Anstieg der Geburtenrate aus. Später musste sich das Ministerium korrigieren. Auch 2008 ist die Geburtenrate in Deutschland gesunken. Doch der Wendepunkt steht tatsächlich bevor - wenn man einer am Mittwoch veröffentlichten Studie glauben darf.
Eine Gruppe von US-Wissenschaftlern um Hans-Peter Kohler von der Universität Pennsylvania (Philadelphia) hat Daten von 1975 bis 2005 aus 24 Ländern analysiert und verglichen. Dabei beobachteten die US-Forscher zunächst einen bekannten Trend: Während der Wohlstand der Menschen in Industrienationen wächst, sinkt die Geburtenrate. In vielen Ländern - wie in Deutschland - liegt die Rate unterhalb des Wertes, der für eine stabile Bevölkerungszahl notwendig wäre. Doch dann machten die Forscher eine interessante Entdeckung: Steigt der "Human Development Index" (HDI) - eine Art Entwicklungsindex - über einen bestimmten, sehr hohen Wert, geht die Geburtenrate wieder hoch.
Der HDI berechnet sich aus der Wirtschaftskraft, Lebenserwartung und dem Bildungsgrad der Menschen in einem Land und liegt zwischen 0 (Tiefstwert) und 1. Die Talsohle bei der Geburtenrate erreichen Industrienationen bei einem HDI-Wert zwischen 0,85 und 0,9, so die Forscher. Liegt der Wert über einen Zeitraum von mehreren Jahren stabil darüber, drehe sich der Trend um. In Norwegen (0,97) und Australien (0,96) lasse sich der Anstieg der Geburtenrate schon beobachten. Beide Länder liegen in der HDI-Rangliste ganz vorn.
In Deutschland müsste sich diese Trendumkehr dann auch bald zeigen, denn der HDI-Wert steigt beständig und liegt nun bei 0,935. Die Forscher empfehlen, in Bildung, Gesundheit und Arbeitsplätze zu investieren. So ließe sich der HDI-Wert über 0,9 halten und die Alterung der Gesellschaft bremsen. Wohlgemerkt: bremsen. Denn die Forscher warnen vor zu großen Erwartungen. Der Anstieg der Geburtenrate werde sicher nicht reichen, um die demografische Entwicklung umzudrehen oder die Bevölkerungszahl zu halten.
Mögliche Effekte von familienpolitischen Initiativen, wie in Deutschland das Elterngeld, haben die Forscher nicht untersucht. Fakt ist: Bisher steht Deutschland auch im EU-Vergleich sehr schlecht da. Der US-Bevölkerungswissenschaftler Carl Haub glaubt, dass mehr Ganztags-Kitas und eine generelle Einstellungsveränderung zu Kindern eine Trendumkehr auslösen könnten. Das Elterngeld hingegen helfe nur denen, die sowieso schon immer Kinder wollten.