Steinmeier hatte keine Chance – aber er nutzte sie ziemlich gut

Es war kein Duell, sondern eine Art Selbstgespräch. Fünf ganz und gar subjektive Thesen unserer Berliner Korrespondenten zum großen TV-Ereignis.

Berlin. Als es vorbei war, fiel eine Last von ihm ab. "Jetzt trinke ich erst einmal ein Bier", sagte Frank-Walter Steinmeier, als er vom TV-Duell zurückkam. Bis 1.30 Uhr feierte der SPD-Kanzlerkandidat mit Anhängern. Nie habe er in so kurzer Zeit so viele SMS bekommen, erzählte er. Fünf Thesen zum TV-Duell.

Zwei Rivalen? Wohl kaum. Zwei Mitstreiter? Schon eher. Zwei pragmatische Nicht-Visionäre? Auf jeden Fall. Die große politische Schnittmenge (angefangen bei Opel über die allfällige Managerschelte bis hin zu Afghanistan) steht für die Sehnsucht vieler Menschen: Konsens statt Krawall und Abgrenzung.

Merkel und Steinmeier stehen perfekt für die weit verbreitete Abneigung gegenüber radikal anmutenden Experimenten. Der Eindruck, dass die Unterschiede nur noch graduell sind, hat sich verfestigt. Richtungswahl? Keine Spur. Das Duo - wie geschaffen für eine Konsens-Gesellschaft.

Sie mussten sich nicht verstellen und blieben ihrer Linie treu: Keine harten Bandagen. Schon äußerlich, in der Kleidung, näherten sie sich an - dunkle gedeckte Töne. Dazu wählte er eine rote Krawatte und sie eine rötliche Kette. Beide suchten den Blickkontakt. Merkel lächelte ihren Koalitionspartner bewusst an.

Sein großes Plus: Ihm hatte man wenig zugetraut. Er konnte nur positiv überraschen. Steinmeier war zielstrebiger, drückte sich verständlicher aus. Merkel hat ihren Auftritt eher auf die leichte Schulter genommen. Nur beim Schlussplädoyer war sie besser. Im Tennis würde man Merkel als Grundlinienspielerin bezeichnen. Sie retournierte jeden Ball und wartete auf die Patzer ihres Gegenspielers.

Der SPD-Mann tat mehr und ging gegen sein Naturell in die Offensive, um im Bild zu bleiben: ans Netz. Für seine Verhältnisse war er keck. Auf die Frage, warum Merkel nicht Kanzlerin bleiben soll, antwortete er: "Weil es eine bessere Alternative gibt - nämlich mich."

Wenn zwei Große sich weitgehend einig sind, frohlocken die Kleinen. Für FDP, Grüne und Linkspartei liefert die "Kuschelveranstaltung" jede Menge Munition, um sich vor dem Wahltag noch stärker anzupreisen. Gründe: Weder hat sich Steinmeier bei möglichen Linkspartei-Wählern eingeschmeichelt, noch hat Merkel gezielt liberal gestimmte Anhänger adressiert.

Gleichermaßen werden die Oppositionsparteien aber nicht profitieren. Weil Steinmeier wie Merkel durchgängig ihren Willen zu (noch) mehr sozialer Gerechtigkeit betonten, kann die Linkspartei nicht punkten. Gewinner könnte wieder einmal die FDP sein. Wähler, denen der Weiter-so-Charakter der Merkel-Steinmeier-Darbietung suspekt ist, könnten bei den Liberalen eine Alternative vermuten.

"Wir wählen die Kanzlerin". So heißt es auf den neuen Groß-Plakaten, mit denen die Union auf die Zielgerade einbiegt. Die Partei verschwindet beinahe vollständig hinter Merkel. Das kann sich rächen. Gerade weil Merkel zu keinem Zeitpunkt glaubhaft erklären konnte (oder wollte?), warum sie mit FDP-Chef Guido Westerwelle in ein schwarz-gelb bezogenes Bett steigen will, wird das Koalitionsversprechen an die Liberalen entwertet.