Sterbehilfe Hilfe beim selbstgewählten Tod
BERLIN · Der Bundestag will am heutigen Donnerstag über Suizidhilfe abstimmen – nach einer Pflichtberatung könnte es demnach zur Verschreibung tödlicher Mittel kommen. So sieht der liberale Gesetzentwurf aus.
Am Donnerstag stimmt der Bundestag über eine Neuregelung der Suizidhilfe ab: Nach welchen Regeln solle es Menschen möglich gemacht werden, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn sie ihr Leben beenden möchten. Hintergrund: 2015 hatte der Gesetzgeber die geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid unter Strafe gestellt. Das Bundesverfassungsgericht hatte dieses Gesetz später für verfassungswidrig erklärt. Eine der Kernaussagen der Richter: „Das Recht, sich selbst zu töten, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.“
Zwei Gesetzentwürfe
Nun will der Gesetzgeber die Frage der Suizidhilfe neu regeln. Der Bundestag verzichtet dabei auf das sonst übliche Abstimmungsverhalten nach Parteizugehörigkeit. So finden sich in den Abgeordnetengruppen für die zwei zur Abstimmung stehenden Gesetzentwürfe Politiker verschiedener Parteien. Eine Gruppe von Abgeordneten um den SPD-Politiker Lars Castelucci setzt weiterhin auf das Strafrecht (Infokasten). Zwei andere Abgeordnetengruppen hatten eigene liberale Regelungsansätze. Um die Chance auf Realisierung ihrer Vorstellungen zu verbessern, haben die beiden Gruppen sich zusammengetan. Federführend bei diesem gemeinsamen liberalen Entwurf sind Katrin Helling-Plahr und Otto Fricke (beide FDP), Petra Sitte (Linke), Helge Lindh (SPD) und Till Steffen (Grüne). Aber wie soll die künftige Regelung aussehen, wenn sich der nun chancenreiche liberale Gesetzentwurf durchsetzt?
Beratungsgespräch ist Pflicht
Nach dem Gesetzentwurf sollen Sterbewillige Zugang zu tödlich wirkenden Arzneimitteln bekommen. Dies aber nur dann, wenn sie vorher eine verpflichtende Beratung in Anspruch nehmen. Dass es einer solchen Beratungspflicht bedarf, wird teilweise kritisiert, weil es doch eine höchstpersönliche Entscheidung sei, für die man sich nicht rechtfertigen müsse. Der Wuppertaler SPD-Abgeordnete Helge Lindh, einer der Vertreter des liberalen Gesetzentwurfs, verteidigt hingegen die Beratungspflicht: „Wir müssen respektieren, dass es Menschen gibt, die aus freiem Willen entscheiden, dass sie nicht mehr leben möchten. Eine solche freie Willensentscheidung umfasst aber auch, über die Bedeutung und die Konsequenzen eines Suizids ausreichend informiert zu sein.“ Zudem müsse Hilfe angeboten und Perspektiven für ein Weiterleben aufgezeigt werden.
Ein flächendeckendes Beratungsangebot muss freilich erst aufgebaut werden. Einrichtung und Finanzierung soll Aufgabe der Länder sein. Das wird dauern. Für eine Übergangsphase von maximal zwei Jahren sollen nach dem Gesetzesplan auch Ärztinnen und Ärzte die Beratung vornehmen dürfen.
Beratungsstellen sollen auch in freier Trägerschaft betrieben werden können. Einschränkung: Sie dürfen keine Aufgaben übernehmen, die im Konflikt mit ihrem Beratungsauftrag stehen – was insbesondere der Fall wäre, wenn eine Beratungsstelle mit einer Sterbehilfe-Einrichtung in einer Weise zusammenarbeitet, dass ein materielles Interesse an der Durchführung von Suizidhilfe besteht.
Das Beratungsgespräch soll ergebnisoffen erfolgen. Der Sterbewillige soll nicht bevormundet werden. Wohl aber sollen Alternativen aufgezeigt werden. Zum Beispiel soll konkrete Unterstützung und Hilfe vermittelt werden, etwa beim Übergang in ein Pflegeheim, beim Zugang zur palliativen Versorgung oder bei der Beantragung von Sozialleistungen. Lindh sagt es so: „Unser Ziel ist es, dass diejenigen, die aus eigenem freiem Willen heraus entscheiden, zu sterben, dies tun können, ohne das Gefühl zu bekommen, etwas Unrechtes oder Unanständiges zu tun, aber auch ohne äußeren Druck, Erwartungen Dritter wie auch immer gerecht zu werden.“
Arzt verschreibt Medikament
Und wie soll es nach dem Beratungsgespräch weitergehen? Hier sieht der Gesetzentwurf vor, dass der Sterbewillige mit der Bescheinigung über das Beratungsgespräch zu einem Arzt geht und um Verschreibung eines tödlichen Medikaments bittet. Der Arzt prüft, ob die Voraussetzungen für eine Suizidassistenz vorliegen, nämlich, ob der Suizidwillige die Entscheidung aus freiem und autonom gebildeten Willen getroffen hat. Ist das der Fall, folgt die Verschreibung eines geeigneten Medikaments und ein Aufklärungsgespräch über dessen Wirkungen. Die Verschreibung darf nach dem Gesetzentwurf jedoch frühestens nach drei Wochen und spätestens nach zwölf Wochen nach der Beratung geschehen. Wie, wann und ob überhaupt das tödliche Medikament schließlich genommen wird, obliegt dann ganz der Entscheidung des oder der Sterbewilligen.
Freilich ist keine Ärztin und kein Arzt verpflichtet, das Mittel zu verschreiben. Niemand darf zur Suizidhilfe gezwungen werden. Robert Roßbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben sieht mit Blick darauf noch „einen großen Bedarf an einschlägigen Weiterbildungsangeboten für Ärztinnen und Ärzte“. Jedenfalls ist nicht ausgeschlossen, dass sich ein Sterbewilliger von Praxis zu Praxis durchfragen muss und bei Ärzten, die ihn gar nicht kennen, kaum Hilfe erwarten kann. Findet ein Sterbewilliger keinen Mediziner, der ihm hilft, sieht der Gesetzesentwurf vor, dass eine nach Landesrecht zu bestimmende Stelle eine Erlaubnis zum Erwerb eines Medikaments erteilen kann.
Sterbehilfeorganisationen
Auch Sterbehilfeorganisationen dürfen weiterhin, wie derzeit ja auch schon, Suizidbeihilfe leisten. Jedoch setzen die Befürworter des Gesetzentwurfs darauf, dass gewinnorientierte Sterbehilfeangebote, die von den Sterbewilligen oftmals viel Geld verlangen, gewissermaßen automatisch überflüssig werden, da es in Zukunft ja auch kostenlose Anlaufstellen geben soll. Im Übrigen gilt für die Organisationen auch, dass die Verschreibung von Medikamenten nur durch einen Arzt erfolgen kann.
Suizidhilfe im Pflegeheim
Mit Blick auf oftmals kirchlich betriebene Pflegeheime könnte es Konflikte geben. Die Kirchen stehen der Suizidhilfe ja weitgehend ablehnend gegenüber. Was, wenn die Einrichtung einer in ihrem Haus geleisteten Suizidhilfe nicht zustimmt? Muss der Heimbewohner dann, um sterben zu können, ausziehen? Hierzu sagt SPD-Mann Lindh: „Das Gesetz sieht zunächst einmal vor, dass niemand aufgrund seines Berufs daran gehindert werden darf, Hilfe bei der Selbsttötung zu leisten. Dies bedeutet, dass Mitarbeiter nicht benachteiligt werden dürfen, nur, weil sie bei einem Suizid helfen oder dazu bereit sind.“ Grundsätzlich hätten Einrichtungen auch nicht das Recht, Ratsuchenden oder Personen, die Hilfe bei einem Suizid suchen, per se den Zugang zu verweigern. Sie könnten aber von ihrem Hausrecht Gebrauch machen. Im Falle von möglichen Konflikten müssten die Grundrechte sowohl der Nutzer als auch der Betreiber der Einrichtungen in einer Weise geschützt werden, die beide Seiten berücksichtigt.
Krankheit ist nicht Voraussetzung
Heikel dürften auch die Fälle werden, in denen zum Beispiel junge und gesund erscheinende Menschen Suizidhilfe in Anspruch nehmen wollen. Lindh verweist auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach ein Suizid gerade kein strafwürdiges Unrecht ist, sondern ein Grundrecht. Jeder und jede habe das Recht, selbstbestimmt zu sterben, unabhängig von den Lebensumständen und Beweggründen. Aus diesem Grund muss der Betroffene etwa auch nicht krank oder gar unheilbar krank sein, um für seinen Suizid Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Das Verfahren mit Beratungspflicht und ärztlicher Verschreibung soll aber sicherstellen, dass der Wille des oder der Betroffenen von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Ernsthaftigkeit getragen ist und keine bloße Kurzschlussreaktion darstellt. Lindh: „Hat der Arzt Zweifel hieran, zum Beispiel in Fällen von akutem Liebeskummer, darf er das todbringende Medikament nicht verschreiben.“
Minderjährige
Und wie ist es mit Minderjährigen? Hier setzt der Gesetzentwurf eine Grenze. Eine so weitreichende Entscheidung setze ein hohes Maß an geistiger Reife voraus – und es sei unklar, ob Minderjährige bereits vollumfänglich darüber verfügen. Daher sollen Minderjährige von der Neuregelung ausgenommen sein, sie erhalten also keinen Zugang zu den entsprechenden Arznei- oder Betäubungsmitteln.