Und die Parteilinke steht im Regen

Das Übergewicht der Reformer in der engsten Parteiführung drängt die Linke an den Rand. Eine tickende Zeitbombe für die SPD?

Berlin. Könnte man aus Andrea Nahles’ Gesicht die Wettervorhersage ablesen, dann müssten wir nicht nur die sprichwörtlichen sieben Tage Regen befürchten, sondern mindestens sieben Monate. Die Parteilinke, deren prominenteste Vertreterin die SPD-Vize-Vorsitzende ist, muss sich als die große Verliererin des politischen Unwetters vom Wochenende fühlen.

Auf Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidaten hatte sie sich ja schon eingestellt; sie war bereit, diese Kröte zu schlucken. Aber dass Kurt Beck nun ganz weg ist und ausgerechnet Franz Müntefering den Parteivorsitz übernimmt, will erst einmal verdaut werden.

Nahles, die mächtigste Frau in der SPD, steht vor einem Scherbenhaufen. Kaum jemand hatte mehr Hoffnungen mit Beck verbunden. Der war und ist zwar kein ausgewiesener Linker. Wer das behauptet, hat vergessen oder ignoriert, dass er als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz lange erfolgreich mit der FDP regiert und dort einen wirtschaftsfreundlichen Kurs der Mitte gefahren hat.

Aber als Parteichef war Beck bereit und in der Lage, Korrekturen an der von der SPD-Linken verhassten Agenda 2010 vorzunehmen. Gegen den Widerstand Münteferings hatte er auf dem Parteitag in Hamburg vor knapp einem Jahr die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere durchgesetzt. Niemand unterstützte ihn dabei so sehr wie Andrea Nahles.

Entsprechend verbittert äußerte sie sich gestern, am Tag danach: Dass Beck keine Chance mehr gesehen habe, seiner Partei zu dienen, liege auch an "Heckenschützen aus den eigenen Reihen", sagte sie. Beck habe das und eine "unvergleichliche mediale Kampagne" auf sich genommen. Dafür sei ihm zu danken.

Auch andere Parteilinke trauerten Beck am Montag laut vernehmbar hinterher - allen voran Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti. "Wir bedauern den Rückzug von Kurt Beck sehr", sagte sie. Er habe mit dem Hamburger Parteitag "den richtigen Weg gewiesen". Außerdem habe er einen "guten und integrativen" Stil gepflegt.

Integrativ - das ist vor allem eine Spitze gegen Franz Müntefering, dem in seiner Zeit als Parteichef vorgeworfen wurde, die Basta-Politik Gerhard Schröders fortzusetzen. Müntefering führte hart von oben nach unten. Statt offene Diskussionen zuzulassen, bereitete er Entscheidungen lieber still und heimlich vor. Seine Alleingänge, man denke nur an die Rente mit 67, sind berüchtigt.

Bei den Landes- und Bezirksvorsitzenden, dem wichtigen Mittelbau der Partei also, kam es gut an, dass Beck mehr innerparteiliche Demokratie wagte. Hier sind auch die meisten Parteilinken zu finden, während die Reformer eher in der Bundestagsfraktion zu suchen sind.

Auch der schleswig-holsteinische SPD-Chef Ralf Stegner ist so ein linker Mittelbau-Mann. Vor wenigen Wochen warnte er noch vor einem Comeback Münteferings und verkleidete das in ein vergiftetes Lob. Der Respekt vor der Lebensleistung Münteferings verbiete es, sagte er, "ihn aus taktischen Erwägungen gegen andere Mitglieder der Parteiführung in Position zu bringen".

Stegner war es denn auch, der sich bei der denkwürdigen Klausur am Schwielowsee mit Ypsilanti der Stimme enthielt, als über den neuen Parteichef abgestimmt wurde. Dies sei aber kein Signal gegen Müntefering gewesen, beeilte sich Stegner gestern klarzustellen. Vielmehr habe er nach dem dramatischen Rückzug Becks nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren wollen.

Ob sich Nahles, Ypsilanti, Stegner und Co. auf Dauer einbinden lassen oder ob die Gräben nicht wieder aufreißen - etwa am 18. Oktober, wenn ein Parteitag Müntefering offiziell inthronisieren soll -, ist derzeit völlig offen. Vielleicht eint mit Blick auf die Bundestagswahl 2009 der gemeinsame Gegner. Vielleicht aber auch nicht.

Und da ist ja auch noch Hessen. Ypsilanti machte gestern einmal mehr deutlich, dass sie an ihrem Fahrplan nichts ändern würde. Sie ist weiter wild entschlossen, mit der Linkspartei gemeinsame Sache zu machen. Mag sein, dass Steinmeier und Müntefering in der Lage wären, sie zu stoppen. Dazu müssten sie ein, zwei Landtagsangeordnete finden, die wie Dagmar Metzger gegen Ypsilanti stimmen. Doch das würde die Parteilinke endgültig an den Rand drängen - und damit erst so richtig gefährlich machen.