Volles Risiko für Kanzlerin Merkel
Merkel setzt alles auf eine Karte: Für ihre Verhandlungen in Brüssel will sie die Rückendeckung des Bundestages haben.
Berlin. Die Woche der Entscheidung begann für Angela Merkel ziemlich unerfreulich. Zwei Tage lang hatte sich die Kanzlerin in Brüssel abgemüht, Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und die anderen EU-Granden von ihrem Kurs im Kampf gegen die Banken- und Schuldenkrise zu überzeugen — mit gar nicht so geringem Erfolg. Doch spätestens bei der morgendlichen Zeitungslektüre war am Montag klar: Auch in der Koalition brennt es immer noch lichterloh. CSU-Chef Horst Seehofer hatte nach dem Spitzentreffen von CDU, CSU und FDP vom Freitagabend nachgelegt.
In der Debatte über den umstrittenen Hebel für mehr Schlagkraft des Euro-Rettungsfonds EFSF polterte der Bayer, seine Meinung habe sich nicht geändert: „Eine Zustimmung meinerseits ist deshalb schwer vorstellbar.“ Merkel und die Unionsspitze entschlossen sich dann für die Offensive.
Damit die Kanzlerin mit einem möglichst starken Mandat an den Brüsseler Verhandlungstisch zurückkehren kann, soll nun am Mittwoch der gesamte Bundestag über die umstrittenen EFSF-Hebelmechanismen abstimmen. Die sind so brisant, weil es sich im Prinzip um genau jene Finanztricks handelt, die 2008 die weltweite Finanzkrise mit auslösten. Der legendäre US-Investor Warren Buffett nannte sie einmal Massenvernichtungswaffen.
Für die oft als abwartend und manchmal zögerlich beschriebene Kanzlerin birgt das ein hohes Risiko. Sie muss schon wieder um ihre Kanzlermehrheit bangen. Denn unter den schwarz-gelben Abgeordneten wachsen die Zweifel, ob sie einem ominösen „Billionen-Hebel“ zustimmen können, dessen Folgen für die Steuerzahler kaum absehbar sein könnten. Dass die Hebel-Diskussion letztlich sogar die Koalition aushebeln könnte, glauben aber auch führende CSU-Politiker nicht.
Inzwischen wurde zumindest klar, wie der Rettungsfonds schlagkräftiger werden soll. Es liegen zwei Optionen auf dem Tisch: Eine Variante sieht eine Teilabsicherung neuer Anleihen aus Risikoländern wie Spanien und Italien vor: Im Pleite-Fall bekäme der Geldgeber zumindest einen Teil der Staatsanleihe zurück. Eine zweite Variante dreht sich um einen Kredit-Sondertopf des finanzstarken Internationalen Währungsfonds (IWF). Auch eine Kombination beider Varian-ten sei möglich, heißt es.
Derzeit kann der Fonds maximal 440 Milliarden Euro Notkredite verleihen. Da die Schuldenkrise immer größere Kreise zieht, könnte der Betrag möglicherweise nicht reichen. Die Euro-Länder wollen deshalb mehr Kapital mobilisieren, ohne selbst die Garantien aufstocken zu müssen. Nach dem Treffen mit Merkel sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, es gehe um eine EFSF-Ausweitung, die „jenseits einer Billion Euro“ liegen dürfte. Dazu sollten die europäischen Banken mit einer besseren Kapitaldecke ausgestattet werden. Das koste 100 Milliarden Euro, Deutschlands Anteil liege bei 5,5 Milliarden Euro.