Berlin. Die Rüttgers-Versteher sitzen in Berlin, wo der nordrhein-westfälische Ministerpräsident sie nie und nimmer vermuten würde: bei der Linken. Parteisprecherin Alrun Nüßlein möchte von einer "Videoüberwachung" im Falle von Hannelore Kraft nicht reden. Es gehe bei den bekannt gewordenen Fällen doch um öffentliche Auftritte der Chefin der NRW-SPD, die von der CDU gefilmt wurden. Und warum auch nicht?
Tatsächlich ist die Beobachtung des Gegners in Berlin gang und gäbe. Jede Partei beschäftigt sich - erst recht im Wahlkampf - mit der Konkurrenz. Sie sammelt und wertet alles aus, was sie irgendwie in Erfahrung bringen kann: Themen, Argumente, Kampagnen, Reden, nicht zuletzt den Internet-Auftritt. Nicht zu jeder Kundgebung des Gegners entsendet man einen eigenen Beobachter. Aber gerade die Kanzlerkandidaten stehen schon unter verschärfter Beobachtung.
Jeder Bericht im Lokalteil, jeder Fernsehauftritt, jede Aussage, jede Rede, jedes Interview wird auf Widersprüche, auf Fehler, auf Schwachstellen analysiert, die man zuspitzen und sich für die eigene Kampagne zunutze machen kann. Das tun alle, und das wissen alle. "Man kennt sich", heißt es bei der CDU.
"Bei Veranstaltungen wissen wir meist schnell, wo der jeweilige Beobachter der CDU sitzt", erzählt einer aus dem Willy-Brandt-Haus der Sozialdemokraten. In der Regel mischen sich die "Spione" der Konkurrenz unter die Medienleute. Und zu Parteitagen werden Vertreter der anderen Parteien eingeladen. Eine systematische, zentral gesteuerte Videobeobachtung wie bei der NRW-CDU gibt es aber nicht, beteuern alle. "Definitiv nicht", versichert man im Konrad-Adenauer-Haus.
Das ist auch glaubwürdig, weil es zu aufwändig und viel zu teuer wäre. Die kleinen Parteien wären auf jeden Fall überfordert. Die großen haben es nicht nötig. Wo immer in diesen Tagen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) oder Vize-Kanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) auftreten, sind nahezu immer Kamerateams vor Ort. Irgendein Sender ist immer dran.
Wenn nun Parteifreunde, der eigene Beobachter oder die Lokalpresse einen Vorfall melden, ist es relativ einfach, sich die TV-Bilder nachträglich zu beschaffen. Im Jahr 2005 ist die SPD über Mitglieder auf die Aussagen des damaligen Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU) über die "frustrierten Ostdeutschen" aufmerksam gemacht worden.
Auf die Idee, eine Kandidatin professionell auszuspähen, kann man nur auf Landesebene kommen, weil natürlich nicht bei jedem Auftritt von Frau Kraft ein TV-Team vor Ort ist. Bei Merkel und Steinmeier ist es anders.
Die gezielte Herabsetzung des Gegners kommt aus Amerika. "Negativ campaigning", nennen es die Fachleute. 2002 und 2005 wurde das schnelle Umschalten auf Angriff eingeübt. Auf jede Forderung folgte das prompte Gegenargument des Gegners - als Munitionierung der Medien. Dem Wahlkampf 2009 fehlt dafür allerdings die Kraft.