Analyse Warum Hunderttausende Menschen aus Eritrea fliehen
Frankfurt/Main/Asmara · Der Tatverdächtige von Frankfurt kam aus dem „Nordkorea Afrikas“ nach Europa. Die Lage dort ist kaum vorstellbar.
Auch Tage nach der Tragödie vom Frankfurter Hauptbahnhof am Montag bleibt die Tat ohne Erklärung. Der 40 Jahre alten Tatverdächtige schweigt zu der tödlichen Attacke auf einen Jungen. Antworten könnte aber seine Vergangenheit liefern.
Der Mann, der 2006 in die Schweiz floh, sagte einst in einem Interview, er wünsche sich, dass seine Kinder „ein besseres und leichteres Leben haben als ich“. Im Dunkeln blieb, ob damit das Leben in seiner Heimat gemeint war – in Eritrea.
In dem kleinen Land am Roten Meer erleben viele Bürger Repression, Armut und Aussichtslosigkeit. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) sind etwa 500 000 Eritreer mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen – laut Weltbank hat das Land dabei nur etwa 3,2 Millionen Einwohner.
Eritrea wird oft als „Nordkorea Afrikas“ bezeichnet. Der autoritär geführte Staat ist seit Jahren von der Außenwelt abgeschottet. Eine UN-Untersuchungskommission warf der Regierung des Landes Verbrechen wie Sklaverei, Folter, Verfolgung, Vergewaltigungen und Mord vor, um „der Bevölkerung Angst zu machen, Widerstand zu unterdrücken und die Menschen zu kontrollieren“.
Verantwortlich dafür ist Präsident Isaias Afwerki, seit Eritreas Unabhängigkeit von Äthiopien im Jahr 1993 an der Macht. Ein blutiger Grenzkrieg mit Äthiopien endete im Jahr 2000, die beiden Staaten blieben aber verfeindet. Dies nutzte die Regierung als Grund, um den Nationaldienst im Land ab 2002 zu einem System umzubauen, das die UN als „Versklavung“ bezeichnet.
Wie Schweizer Statistiken zeigen, nahm Mitte der Nuller-Jahre die Zahl der Flüchtlinge aus Eritrea in das Alpenland plötzlich stark zu – bis 2008. Der Grund: 2006 war in der Schweiz Desertion als Asylgrund anerkannt worden.
Auch der Tatverdächtige von Frankfurt floh in dieser Zeit. Der Nationaldienst, Pflicht für quasi alle Bürger, war auf unbegrenzte Zeit verlängert worden. Einige Menschen müssen mehr als ein Jahrzehnt dienen, Wehrpflichtige landeten nach ihrem Militärtraining quasi in der Zwangsarbeitoder bei den Streitkräften.
„Nicht nur ist der Nationaldienst endlos, man bekommt nur einen Hungerlohn dafür – definitiv nicht ausreichend, um mit Würde zu leben“, schreibt Amnesty International. Der Nationaldienst habe Familien getrennt und die Gesellschaft zerrissen. Um dieser Realität zu entkommen, wagen viele Eritreer die gefährliche Flucht ins Ausland. Die meisten leben in den Nachbarländern Äthiopien und Sudan. Das Land mit der drittgrößten Zahl an eritreischen Flüchtlingen ist aber Deutschland – dort leben laut UNHCR fast 50 000 Eritreer, viele von ihnen kamen als Bürgerkriegsflüchtlinge.
17 600 Eritreer beantragten 2018 erstmalig Asyl in einem der 28 EU-Staaten. Die meisten von ihnen, knapp 5570, stellten in Deutschland einen Antrag. Den zweithöchsten Wert verzeichnete die Schweiz mit 2495 Anträgen – fast 20 Prozent aller Erstanträge in dem Land.
Wie schlimm die Lage in Eritrea ist, lässt sich auch an der hohen Anerkennungsrate erkennen: Nach Zahlen der Europäischen Asylbehörde Easo wurden 2018 etwa 85 Prozent der Anträge auf internationalen Schutz aus Eritrea positiv beschieden. Damit liegt Eritrea auf Platz drei – hinter den Bürgerkriegsländern Jemen und Syrien.