Zurück aus Afghanistan: "Soldaten werden wie Verbrecher behandelt"
Düsseldorf. Als einer der ersten deutschen Soldaten war Achim Wohlgethan in Afghanistan. Im Interview mit der WZ übt er Kritik am Einsatz.
Wenn Sie beim Einsatzführungskommando in Potsdam durch die Tür kommen - werden Sie dort mit offenen Armen empfangen?
Wohlgethan: Das ist eine gute Frage. Die Leute würden erst mal sagen: Toll, der hat uns hier ein paar Sachen eingebrockt. Und die würden sagen: Du warst ein zu kleines Licht, als das wir mit dir das Gespräch führen.
Das heißt, die Politik interessiert sich nicht für das, was Sie in Afghanistan erlebt haben?
Wohlgethan: Doch. Man hat mich in eine Arbeitsgruppe des Verteidigungsausschusses eingeladen und gefragt, ob ich helfen kann.
Warum fragt man da nicht aktive Soldaten?
Wohlgethan: Die haben kein Vertrauen und die Angst, dass sie Karriere-Nachteile haben, wenn sie sich beschweren.
Was ist Ihre Intention?
Wohlgethan: Wir wollen, dass die Öffentlichkeit anerkennt, was die Jungs und Mädels dort leisten.
In diesem Kriegseinsatz?
Wohlgethan: Ja, denn für die Soldaten ist es ein Krieg, auch wenn man von Hilfseinsatz spricht.
Ist die Definition nicht zweitrangig?
Wohlgethan: Nein. Wenn man von einem Hilfseinsatz spricht und dem Soldaten passiert etwas, handelt es sich nur um einen qualifizierten Dienstunfall. Dann sind die Ansprüche ganz andere als in einem Krieg.
Machen sich die Soldaten auch um juristische Folgen Gedanken?
Wohlgethan: Die Soldaten fühlen sich nicht wohl dabei. Denken wir nur an die Zwischenfälle, in denen Zivilisten zu Tode kamen. Da ermittelt dann eine Staatsanwaltschaft . . .
Die tausende Kilometer entfernt sitzt?
Wohlgethan: Ja. Die Soldaten werden wie Verbrecher behandelt.
Also sind Sie für eine Militärgerichtsbarkeit?
Wohlgethan: Auf jeden Fall. Dann hätte man Soldaten, die über Soldaten entscheiden. Jemand in einem deutschen Dienstzimmer kann die Situation im Einsatz nicht nachempfinden. Das lässt sich auch nicht nachstellen.
Gibt es weitere Probleme?
Wohlgethan: Wenn Soldaten namentlich angeklagt werden, macht sie das auch für radikale Gruppen in Afghanistan angreifbar. Wir hatten Fälle, in denen Soldaten Wohn- und Dienstort wechseln mussten.
Wie kann das passieren?
Wohlgethan: In den Lagern gibt es afghanische Zivilangestellte. Etwa in Kundus wurde schon der Müll durchsucht nach Namen und Adressen. Später klebten dann Zettel an Autoscheiben im Camp mit der Aufschrift: Wir wissen, wo du herkommst.
In ihren Büchern kritisieren sie, dass die Bundeswehr schlecht ausgerüstet war. Hat sie dazugelernt?
Wohlgethan: Wenn sie dazugelernt hätte, würde sie den Soldaten das geben, was sie benötigen. Nur 60 bis 70 Prozent der Fahrzeuge sind einsatzbereit, es ist keine Munition da, keine schweren Artilleriegeschütze. Bei der Luftunterstützung muss man auf die Alliierten zurückgreifen.
Das ließe sich doch ändern.
Wohlgethan: Wie wollen sie der Öffentlichkeit verkaufen, dass sie schweres Gerät nach Afghanistan bringen, wo wir doch nicht im Krieg sind? Schweres Gerät erhöht zudem die Gefahr weiterer Kollateralschäden. Die militärische Führung hat sich nicht weiterentwickelt. Die Gegner schon.
Wo liegt das Hauptproblem?
Wohlgethan: Auf einen Indianer, also auf einen Kämpfer, kommen drei Häuptlinge. Das Verhältnis von Logistikern zu Infanteriekräften ist sehr schlecht.
Ist das nicht einfach zu regeln?
Wohlgethan: Nicht bei den Kontingentbestimmungen: Wenn du einmal im Einsatz warst, hast du zwei Jahre Pause. Aber das geht gar nicht. Ich war selbst ständig unterwegs. Nur mit Logistikern, die sich zu 80 Prozent im Lager aufhalten, und 20 Prozent, die rausgehen, kann man aber nichts reißen. Man will ja der Bevölkerung helfen. Aber das geht nicht, wenn ich ständig mit Patrouillen rausfahre und Angst haben muss, beschossen zu werden. Die Hilfsprojekte sind im Großen und Ganzen fast eingefroren.
Ist die Bundeswehr den Aufgaben in Afghanistan gewachsen?
Wohlgethan: Ein US-General sagte mal, er brauche nur im Süden des Landes zwischen 450 000 und 600 000 Mann. Die Bundeswehr hat weder die Menpower noch die Ausrüstung. Ich habe selbst erlebt, wie ein ganzes Kontingent von Reservisten eingezogen wurde, nur um die Kopfzahl zu halten. Gewisse Tätigkeiten wie Tiefenaufklärung oder Patrouillen können aber nur von spezialisierten Kräften durchgeführt werden. Ich kenne einen Fahrlehrer, der wurde als Patrouillenführer eingesetzt. Seine Qualifikation: Er hatte den Dienstgrad und konnte ein Fahrzeug bewegen.
Sie hatten Probleme mit solchen Vorgesetzten.
Wohlgethan: Ich habe mit vielen hervorragenden Offizieren gearbeitet. Aber sie müssen sich vorstellen: Da kommt ein kleiner Haufen mit allen Dienstgraden. Der wird ein, zwei Personen unterstellt, die keine Ahnung haben. Bei den Belgiern oder Niederländern wird nach Erfahrung beurteilt, da muss die Bundeswehr umlernen.
Könnte ihr das unter dem neuen Verteidigungsminister Guttenberg gelingen?
Wohlgethan: Er vertritt die Generation, die gerade im Einsatz ist. Das macht mir Hoffnung. Aber ich habe die Lebensläufe des Verteidigungsausschusses recherchiert. Die kommen zusammen kaum auf 14 Jahre Dienstzeit bei der Bundeswehr. Die haben in den 60er, 70er Jahren gedient. Einer hatte in seinem Lebenslauf: Schülersprecher in der Berufsschule. Solche Leute entscheiden über Soldaten, die im Einsatzland täglich ihr Leben riskieren. Es fehlt an Experten.
Die entscheiden aber über die Mandatsverlängerungen.
Wohlgethan: Jedes Jahr aufs Neue. Die Truppe wird noch mindestens noch zehn Jahre in Afghanistan bleiben. Man muss den Sicherheitsapparat ausbilden, die Polizei und das Militär.
Das funktioniert aber nicht.
Wohlgethan: Richtig. Es gibt zu wenig Ausbilder. Und wo wandern die hin, die ausgebildet wurden, wenn sie kein Geld von ihrer korrupten Regierung bekommen? Sie gehen zu den Warlords oder zu den Taliban. Da kriegen sie ihr Geld, doppelt so viel und regelmäßig. Das ist eine ganz klare Existenzfrage, wenn ich meine Familie ernähren muss.
Das ist eine düstere Perspektive.
Wohlgethan: Wir müssen Personal und Material reinhauen. Auf der Afghanistan-Konferenz Ende des Jahres werden wir uns dazu durchringen, das deutsche Kontingent ein wenig aufzustocken. Dann legen wir einen Plan auf den Tisch und sagen, zum Zeitpunkt X wollen wir 50000 Polizeikräfte und 150000 Militärs ausgebildet haben. Diese Zahl müssen wir dann brutal abarbeiten. Wir müssen der Bevölkerung gerade in den ländlichen Gebieten helfen. Das geht nur, wenn wir vorher Sicherheit schaffen.
Bereiten wir unsere Soldaten richtig vor?
Wohlgethan: Nein, die kommen ins Mittelalter, erleben eine Gesellschaft, deren Rechtsprechung die Scharia ist. Viele Soldaten prangern an, dass die Vorbereitung komplett fehlt. Genauso wie die Nachbereitung.
Auch Sie hatten psychische Probleme, als Sie zurückkamen.
Wohlgethan: Ja. Man kann sagen, jeder der zurückkommt, hat ein Problem. Die einen versuchen es mit Alkohol zu lösen, die anderen raufen sich mit ihren Kameraden zusammen und verlassen die Kaserne nicht mehr. Es gibt viele ungeklärte Todesfälle.
Die Bundeswehr sagt, ihre Nachsorge klappt.
Wohlgethan: Da kann ich nur lachen. Die Bundeswehr hat 42 Psychiater-Stellen, die Hälfte ist besetzt. Pro Brigade (3000 Mann) gibt es einen Psychologen.
Wie viel Fiktion ist in Ihren Büchern?
Wohlgethan: Null. Ich habe noch viel zurückgehalten. Es gab eine megamäßige juristische Prüfung. Alles entspricht der Realität. Mein drittes Buch ist fast fertig und da wird es sehr brisant.