Angst und Hoffnung - Digitalboom auf dem Arbeitsmarkt

Berlin (dpa) - Neue Chancen auf Massenproduktion und gute Jobs oder eine neue Schicht von Computer-Arbeitern ohne Rechte? Die digitalen Umwälzungen lösen große Hoffnungen und Riesenängste aus. Wie reagiert die Politik?

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Berlin (dpa) - Neue Chancen auf Massenproduktion und gute Jobs oder eine neue Schicht von Computer-Arbeitern ohne Rechte? Die digitalen Umwälzungen lösen große Hoffnungen und Riesenängste aus. Wie reagiert die Politik?

Größer könnte die Bandbreite kaum sein zwischen den Hoffnungen auf die Segnungen der Digitalisierung und schlimmsten Befürchtungen. BDI-Präsident Ulrich Grillo schwärmt bei der Vorstellung eines neuen Milliarden-Fördertopfs der Bundesregierung von einer Neuansiedlung intelligenter Massenproduktion in Deutschland. Verdi-Chef Frank Bsirske warnt vor einem digitalen Prekariat, also vor Massen von rechtlosen und mies bezahlten Computer-Arbeitern. Was sind zentrale Entwicklungen in dem Bereich - und wie steht die Politik zu den Herausforderungen der digitalen Arbeitswelt?

Produktion: Hier liegt ein Schwerpunkt des neuen Förderprogramms des Bundes - Stichwort Industrie 4.0. Dabei können Werkstücke, etwa über bestimmte Codes gesteuert, von Maschine zu Maschine einer Fabrik wandern und jeweils individuell bearbeitet werden. Die Perspektive ist, „dass individuelle Maßschneiderei ermöglicht werden soll zu den Preisen der Massenschneiderei“, wie Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) auf der Suche nach einer griffigen Formel sagt. Eine einzige Produktionslinie könne Produkte verschieden ausfertigen, erläutert Grillo. Aus seiner Sicht ist es so sogar wieder möglich, „Massenproduktion aus Fernost nach Deutschland zu holen“. Kleinere Produktionsstätten etwa mit 3D-Druckern könnten auch direkt in Städten entstehen.

Digitales Prekariat: Das wollen die Gewerkschaften unbedingt vermeiden. Bsirske nennt Crowdsourcing als zentrales Stichwort. Dabei vermitteln Online-Plattformen einfache Aufgaben von Unternehmen, die Mitarbeiter am PC quasi nebenher etwa daheim erledigen. Sozialversicherungsbeiträge und Zuschläge etwa für Nachtarbeit fallen weg. Die Leute sollen dafür zum Beispiel bestimmte Daten abgleichen oder Adressen recherchieren.

Digitale Zeitenwende im Büro: Das Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München hat untersucht, was die Einführung immer neuer IT-Systeme mit den Mitarbeitern macht. Viele Büro-Beschäftigte müssten immer mehr Vorgänge am Bildschirm abarbeiten, immer mehr Informationen in die Rechner einspeisen. Nicht Selbstbestimmung und Kreativität seien oft die Folge - sondern das Gefühl, eingeengt zu werden, Standards erfüllen zu müssen. „Alles wird irgendwie kälter“, sei eine verbreitete Klage unter den Betroffenen. Viele fühlten sich unter Druck, sich ständig anpassen zu müssen oder ausgetauscht zu werden, so die Forscher Andreas Boes und Tobias Kämpf.

Share Economy: Menschen teilen, was sie haben - etwa Autos oder Unterkünfte. In Deutschland zieht derzeit die Taxibranche juristisch gegen den Fahrdienst-Vermittler Uber zu Felde, der Autofahrten vermittelt. Aus Konsumenten-Sicht ist Uber zunächst eine echte Erleichterung: Per Tippen auf den Handymonitor lässt sich ein Fahrer herbeirufen. Das klappt ähnlich geschmeidig wie die Unterkunftsvermittlung Airbnb. Wirtschaftsethiker wie Thomas Beschorner weisen auf Risiken hin: Solche Angebote könnten dazu führen, dass Vorschriften etwa zum Schutz von Fahrern, Reinigungskräften oder Konsumenten ausgehebelt werden. „Die Politik muss dafür sorgen, dass Kündigungsschutz, Mindestlöhne, Arbeitsschutz- und Arbeitszeitregeln auch für die neuen digitalen Angebote gelten“, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann im „Spiegel“

Verwischen von Arbeit und Freizeit: Smartphones, Tablets und Notebooks und ihre Programme führen dazu, dass viele Neuerungen wie bei den sozialen Netzwerken erst im Privatbereich boomen - und dann von Unternehmen genutzt werden. Ein Dauerbrenner außerdem: dass die Chefs die Mitarbeiter elektronisch auch daheim behelligen. „Es kommt zu einer technologischen Integration von Arbeits- und Lebenswelten“, sagt der Stuttgarter Arbeits-Forscher Bernd Bienzeisler.

Und die Politik? Der Bund fördert nun binnen sieben Jahren mit einer Milliarde Euro neue Produktions- und Arbeitsweisen sowie Dienstleistungen. Die Gewerkschaften freuen sich, dass auch gute Arbeit, nachhaltige Beschäftigung offiziell besser erkundet und gefördert werden soll. Die Industrie zeigt sich zufrieden, dass nach dem Mindestlohn wieder Produktivität und Investitionen mehr in den Blick der Politik kommen. Gespannt darf man sein, ob das Geld in den kommenden Jahren tatsächlich wie geplant fließt - und in welche Bereiche vorrangig. Und bei einem großen Thema steht die Politik aus Sicht der Gewerkschaften erst am Anfang - bei schärferen Regeln für gute Arbeit in Zeiten von auch digitalem Stress. Umstritten ist, ob etwa die von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) erwogene Anti-Stress-Verordnung befürchtete Folgen der Digitalisierung abmildern kann.

Service:

Wer staatliche Förderung beantragen will, erhält bei der Förderberatung Hilfe, wie er vorgehen kann: Telefon +49 800 26 23 008, E-Mail: beratung@foerderinfo.bund.de