Die Rückkehr der Müßiggänger: Nichtstun ist in
Mainz (dpa) - Es ist nicht bekannt, ob Isaac Newton (1643-1727) auf seine Gravitationstheorie gekommen wäre, hätte er damals am Laptop sein Mail-Postfach aufgeräumt. Der Legende nach kam dem Physiker der zündende Gedanke zur Schwerkraft, als er recht entspannt beobachtete, wie ein Apfel in einem Garten von einem Baum plumpste.
Newton fragte sich, was da eigentlich passiert war und entwickelte die bahnbrechende Theorie von der Gravitation. Ohne Stress zum Welterfolg - im modernen Arbeitsalltag fast undenkbar.
Für den Wirtschaftswissenschaftler Norbert Rohleder ist der längst verblichene Brite daher eine Art Kronzeuge, wenn er die moderne Arbeitswelt analysiert. Jüngst hat er den Aufsatz „Muße für Manager“ veröffentlicht, an diesem Donnerstag (28. Mai) hält er in Mainz den Vortrag „Muße - Gründe für absichtsloses Nichtstun“. Rohleder hat den etwas angestaubt wirkenden Begriff Muße wiederentdeckt. Er sieht in ihm einen Schlüssel, um den Stress zu vermeiden, über den so viele Arbeitnehmer in Deutschland klagen. Und Rohleder ist nicht der einzige Experte, der gerade ein Loblied auf die Muße singt.
Welche Auswirkungen Druck am Arbeitsplatz hat, unterstrich eine im März vorgestellte Studie der Bertelsmann-Stiftung. Demnach legt ein Viertel der befragten Vollzeit-Beschäftigten ein zu hohes Arbeitstempo vor. 18 Prozent stoßen oft an ihre Leistungsgrenzen, 23 Prozent machen keine Pausen.
„Wir haben ein großes Arbeitsvolumen und gleichzeitig ist der Zeitdruck gestiegen“, sagt Rohleder. Arbeitnehmer werden von Mails überschüttet, hetzen Terminen hinterher und vermengen Arbeit mit Freizeit. „Die chronische Überbelastung führt zu nachweisbaren Fehltagen“, sagt er.
Der Wissenschaftler plädiert daher für die Rückkehr zu einem Prinzip, das früher als selbstverständlich galt. „Muße ist nichts Antiquiertes, obwohl das viele denken mögen. Man darf es allerdings nicht damit verwechseln, abends vor dem Fernsehen abzuhängen“, sagt er. „Es ist nicht Trägheit. Und es ist auch nicht nur Lebenskünstlern vorbehalten.“ Muße bedeute, Zeit zu haben, über die man selbst Herr ist. Die keinem äußeren Zweck dient. So einfach und doch so schwer.
Ulrich Schnabel hat ein komplettes Buch über die Muße geschrieben („Muße. Vom Glück des Nichtstuns“). „Wir verlernen die Muße nicht. Aber wir gewöhnen sie uns ab“, sagt der Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ und nennt als Beispiel spielende Kinder, die schnell mal die Welt um sich herum vergessen können.
Ein Problem sei, dass sich die gesellschaftlichen Wertvorstellungen verschoben hätten. „Geprägt haben den Begriff die alten Griechen. Das Interessante: Muße-Zeiten waren damals die eigentlich wichtigen im Leben. Die Arbeit war untergeordnet, um diese Zeiten zu ermöglichen“, sagt Schnabel. „Heute ist es umgekehrt: Heute sind Muße die kleinen Erholungszeiten, die wir uns gestatten, um wieder möglichst viel leisten zu können.“
Wozu der Leistungsgedanke dabei führen kann, weiß Iris Hauth. Burn-out sei nach dem Klassifikationssystem keine Erkrankung, sondern ein Risikozustand, sagt die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). „Mittlerweile scheint diese Symptomatik durch alle Berufsgruppen zu gehen.“
Hauth rät beispielsweise, feste Zeiten in der Woche und am Wochenende zum Abschalten einzuplanen. Bei solchen Ratschlägen neige mancher Hochleistungsorientierter allerdings mitunter dazu, die Freizeit selbst wieder penibel durchzutakten. „Wesentlich ist es jedoch, Muße zu haben ohne schlechtes Gewissen, einfach mal entspannen, wie zum Beispiel im Grünen sitzen und die Natur auf sich wirken lassen.“
Dass Zeit im Grünen nicht unbedingt vertan sein muss, weiß man ja schon seit Newton.