Duale Ausbildung in der Krise - Bewerberschwund hält an
Frankfurt/Main (dpa) - In Sonntagsreden wird die duale Berufsausbildung gerne als Stärke des deutschen Wirtschaftssystems gepriesen. Doch sie steckt in der Krise, weil immer weniger junge Menschen sich für eine Lehre entscheiden.
Der deutschen Wirtschaft gehen die Lehrlinge aus. Schmale Jahrgänge und die verstärkte Studienneigung der Schulabgänger haben 2013 zu Negativrekorden bei neuen Lehrverträgen und der Gesamtzahl der Auszubildenden geführt, wie das Statistische Bundesamt berichtete. Nur noch 525 300 junge Menschen wählten 2013 den Weg über Betrieb und Berufsschule in den Beruf, weit über 100 000 weniger als im gesamtdeutschen Rekordjahr 1999. Der seit Jahren laufende Prozess hat zudem dazu geführt, dass es im vergangenen Jahr nur noch knapp 1,4 Millionen Auszubildende gab, mehr als 300 000 weniger als im Jahr 2000.
In den ostdeutschen Ländern erhält bereits jeder vierte Betrieb auf seine Ausschreibungen gar keine Bewerbungen mehr, 68 Prozent aller Betriebe bundesweit klagen darüber, keine geeigneten Bewerber zu finden, berichten die Kammern. Paradoxerweise nehmen auch die Probleme der Jugendlichen zu, eine geeignete Ausbildungsstelle zu finden. Trotz mancher Nachvermittlungsbemühungen standen noch Ende Januar 11 800 Bewerber aus dem Vorjahr unversorgt da, wie die Teilnehmer des Ausbildungspakts aus Wirtschaft und Bundesregierung berichteten.
Der Trend der Leistungsstärkeren zum Studium ist ungebrochen. Die betriebliche Ausbildung und erst recht duale Studiengänge stünden zu Unrecht im Schatten der reinen Hochschulausbildungen, sagt Esther Hartwich, Bildungsexpertin beim Deutschen Industrie- und Handelkammertag (DIHK). „Nach nahezu jeder betrieblichen Ausbildung ist eine Aufstiegsfortbildung zum Fachwirt oder Meister möglich.“ Die Verdienstmöglichkeiten stünden denen in vielen akademischen Berufen um nichts nach und eine Ausbildung mit Aufstiegsfortbildung schütze zudem stärker vor Arbeitslosigkeit.
Dass die Bewerber den Firmen dennoch nicht die Türen einrennen, zeigt sich auch in der Bankenstadt Frankfurt. Noch nie seien die neuen Lehrverträge so spät abgeschlossen worden wie in diesem Jahr, sagt Brigitte Scheuerle von der IHK. „Die jungen Leute halten sich alle Optionen offen.“
Längst stürzt sich das Handwerk auch auf Studienabbrecher und Abiturienten. Im vergangenen Jahr hatte immerhin jeder zehnte neue Lehrling zuvor die Hochschulreife erworben - auch das ein Rekord. Der Trend ist freilich ein starker Gegenwind, wie die Mitglieder des Ausbildungspaktes vor einigen Wochen bilanzierten. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Schulabgänger ohne Hochschulreife - den klassischen Lehrstellenbewerbern - um 21,5 Prozent auf 551 800 im Jahr 2013 gesunken. In der gleichen Zeit wuchs die Zahl der studienberechtigten Abgänger um 39,6 Prozent auf 317 000. Die Zahl der Studienanfänger kletterte sogar um 34 Prozent.
Die duale Ausbildung scheint zumindest außerhalb bekannter Industriebetriebe wie Daimler, Bosch oder Porsche mächtig aus der Mode gekommen zu sein. „Die kleineren Betriebe tun sich schon schwerer als die Großen, die jede Menge Bewerbungen bekommen“, sagt der Sprecher der Stuttgarter Handwerkskammer, Gerd Kistenfeger. Die Kleinen könnten im nahezu vollbeschäftigten Ballungsraum mit einer ganzheitlicheren Ausbildung im Betriebsalltag glänzen. Vom Auftrag bis zum fertigen Produkt erlebe der Auszubildende die betrieblichen Prozesse mit und habe später zudem die Chance zur eigenen Selbstständigkeit.
Mit einiger Begleitmusik sind im vergangenen Jahr auch einige Jugendliche aus südeuropäischen Ländern in deutsche Ausbildungsbetriebe geholt worden. Die Betreuung hat sich allerdings als sehr aufwändig erwiesen, zumal aktuell Fördermittel aus dem Mobipro-EU-Programm nicht mehr zur Verfügung stehen, wie der Zentralverband des deutschen Handwerks klagt. Nach rund drei Monaten waren die für 2014 eingeplanten Mittel aufgebraucht, das Programm ist vom Bund vorerst auf Eis gelegt worden.
Einen guten Teil der Misere hätten die Unternehmen selbst verbockt, meint die DBG-Vize-Vorsitzende Elke Hannack. Die größten Schwierigkeiten bei der Besetzung ihrer Stellen hätten nicht zufällig Branchen wie das Hotel- und Gaststättengewerbe oder Bäcker- und Fleischerhandwerk. Sie müssten den Jugendlichen bessere Bedingungen, höhere Bezahlung und Zukunftsperspektiven bieten.