Neustart in der Lebensmitte - Azubi mit 40 plus

Schrobenhausen (dpa) - Raus aus dem beruflichen Alltagstrott und rein ins kalte Wasser - nur wenige Menschen in Deutschland trauen sich mit über 40, noch einmal ganz von vorne anzufangen und eine Ausbildung zu machen.

Dabei kann das durchaus neuen Schwung geben.

Mit über 40 noch mal die Schulbank drücken und einen Beruf von der Pike auf lernen? Für viele Menschen in Deutschland ist das schwer vorstellbar. Karin Schwesinger aus Schrobenhausen hat so einen Neustart gewagt und ist glücklich damit. Nach 16 Jahren als selbstständige Geschäftsfrau begann die 48-Jährige im September dieses Jahres eine Friseur-Ausbildung und freut sich nun über die Chance, ihr Leben noch einmal komplett umzukrempeln. „Das belebt und beflügelt mich, das ist fast ein bisschen wie verliebt sein“, sagt Schwesinger.

Dass jemand so wie sie aus freien Stücken in der Lebensmitte beruflich von vorne beginnt, ist selten: Nicht einmal 1100 Menschen im Alter von 40 Jahren und mehr schlossen nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr neue Verträge für eine duale Berufsausbildung ab. Die Gründe dafür liegen sowohl bei den Bewerbern selbst, als auch bei den Arbeitgebern, sagt eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA): Senior-Azubis werden von der BA nur gefördert, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen umschwenken müssen, wenn es für sie im erlernten Beruf keine Chancen mehr am Arbeitsmarkt gibt oder wenn sie keinen Berufsabschluss haben. Wer etwa familiäre Verpflichtungen hat, wird sich deshalb dreimal überlegen, ob er sich freiwillig eine mehrjährige Ausbildung mit geringem Verdienst antut.

Die Arbeitgeber dagegen profitierten in der Vergangenheit vom Bewerberüberhang: Weil mehr Schulabgänger bei ihnen anklopften, als sie offene Lehrstellen boten, konnten sie sich ihre Azubis bislang aussuchen und griffen meist bei den ganz jungen Leuten zu. Doch jetzt bricht die Ära des Fachkräftemangels an, und das Blatt wendet sich damit, sagt die BA-Sprecherin. „Die demografische Entwicklung zwingt Arbeitgeber zum Umdenken. Das wird zu Konstellationen führen, die heute eher die Ausnahme sind.“

Auch das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn geht davon aus, dass sich künftig mehr ältere Menschen für eine Ausbildung interessieren werden und die Nachfrage der Unternehmen mit dem Fachkräftebedarf wachsen wird. Deshalb sollten dafür auch geeignete Fördermöglichkeiten geschaffen werden, sagt der BIBB-Experte Günter Walden. „Das muss aber nicht unbedingt nur der Staat machen.“ Auch die Unternehmen könnten spezielle Programme auflegen.

Für die Betriebe können reifere Azubis dabei ein echter Gewinn sein: Sie bringen nicht nur eine gute Portion Lebenserfahrung mit, sondern wissen meist auch genau, was sie wollen und lassen sich von ihren Zielen nicht so schnell abbringen. Wie zielstrebig ältere Absolventen in einer Lehre oft sind, zeigt sich auch daran, dass nicht wenige noch eine Weiterbildung zum Meister oder Polier draufsetzen und damit ganz der gängigen Aufforderung zum „lebenslangen Lernen“ nachkommen.

Auch Karin Schwesinger hat schon Pläne für die Zeit nach ihrer Lehre. „Ich komme aus einer Unternehmerfamilie, und mein persönliches Ziel ist schon die Selbstständigkeit“, sagt sie. Vorerst aber muss sich die 48-Jährige finanziell einschränken. Ein Auto oder größere Anschaffungen seien bei knapp 500 Euro Lehrlingsvergütung pro Monat nicht drin, aber das hat sie von Anfang an einkalkuliert. Früher führte Schwesinger eine Modeboutique und war ihre eigene Herrin, heute lässt sie sich das Handwerk von ihrer deutlich jüngeren Chefin beibringen. Und in der Berufsschule ist Schwesinger ohnehin eine Exotin: Ihre älteste Mitschülerin in der Klasse sei 30 Jahre jünger, erzählt Schwesinger. Neidisch macht sie das aber keineswegs: „Ich kann mit der Gelassenheit des Alters sehen, welche Probleme die haben und denke mir dann immer: Das hast Du alles schon erlebt.“