Rollentausch in Zeitlupe: Mädchen im Labor, Jungen in der Kita
Bielefeld (dpa) - Gaaaanz langsam tut sich was: Möglicherweise auch dank Girls'Day und Boys'Day öffnen sich junge Leute für Berufe, die das Klischee dem anderen Geschlecht zuweist. Kritiker halten das für Alibi-Aktionen.
Fröhlich versichert Elisabeth Schöppner: „Es tut sich was.“ Ihre Worte klingen ein wenig nach Selbstvergewisserung. Schöppner ist Projektleiterin im Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit. Diese Stelle kennt kaum jemand, dafür aber das, was hier bundesweit koordiniert wird: der Girls'Day und der Boys'Day. Am Donnerstag (25. April) schwärmen im ganzen Land wieder Schüler ab der 5. Klasse in Unternehmen, Behörden und Hochschulen aus und schauen sich an, was man so macht in den Berufen und Studiengängen, die sonst eine Domäne des anderen Geschlechts sind.
Seit 2001 organisiert das Bielefelder Kompetenzzentrum den Girls'Day, seit 2011 auch das Pendant für Jungen. Die Arbeit wird gefördert von der Bundesregierung und der EU. Hat sich in diesen zwölf Jahren schon etwas getan? „Wir haben für das Thema Berufswahl sensibilisiert“, sagt Schöppner. „Der Aktionstag bringt Familien dazu, über den künftigen Beruf des Kinds zu diskutieren. Und Männer-Unternehmen müssen sich überlegen, was sie machen, wenn plötzlich eine 16-Jährige in der Werkstatt steht.“
An manchen Zahlen lässt sich ablesen, wie die Frauen langsam auch in Männerdomänen vordringen. Bei den Kfz-Mechatronikern zum Beispiel stieg der Frauenanteil in den letzten zehn Jahren von 1,6 auf 2,8 Prozent. Das heißt aber andersherum: 97,2 Prozent der Azubis sind dort männlich. Außerdem: Die Hitliste der Ausbildungsberufe zeigt unverändert die strikte Geschlechtertrennung: Hier der Automechaniker und dort die Verkäuferin. Auch im Studium erobern sich Frauen nur langsam neues Terrain.
Schöppner hat hier einen Unterschied zwischen den Geschlechtern ausgemacht. „Jungen interessieren sich öfter für die Technik an sich. Mädchen fragen häufiger: Was bewirke ich damit?“ Das lasse sich am Beispiel Informatik nachweisen. Dort liegt der Anteil der Frauen bei 16,8 Prozent. Im Teilgebiet Medizin-Informatik ist ihr Anteil mit 35,6 Prozent fast doppelt so hoch.
Zeigen die Aktionstage also Wirkung? Das sieht die Heidelberger Geschlechterforscherin Monika Sieverding kritisch. „So ein Girls'Day oder ein Boys'Day kann auch nach hinten losgehen: Wenn sich nämlich ein Mädchen vorstellt, dass es später mal die einzige Frau unter lauter Männern in der Werkstatt sein wird; oder der Junge der einzige Mann in der Kita.“
„Ein Nachteil ist auch, dass "Frauenberufe" in der Regel schlecht bezahlt sind und häufig ein relativ niedriges Image haben“, gibt die Psychologin zu bedenken. „Warum sollten Jungen solche Berufe wählen? Darum könnte man sich den Boys'Day eigentlich sparen. Genauso wie den Girls'Day.“
Denn die alten Rollenbilder seien besonders im Westen Deutschlands noch relativ fest verankert. Zunächst sollte verhindert werden, dass Mädchen in der Schule bestimmte Fächer, vor allem Naturwissenschaften abwählen dürfen, fordert Sieverding. Zudem würden viele Frauen nach dem Studium erst gar nicht in den Beruf einsteigen. „Ich würde Frauen vor dem Studium unterschreiben lassen, dass sie später mindestens fünf Jahre in dem Beruf arbeiten werden.“
Der Münchner Entwicklungspsychologe und Frühpädagoge Hartmut Kasten ist ebenfalls skeptisch. „Ich halte von diesen Aktionstagen gar nichts. Die rauschen vorbei und sind weg. Besser wäre es, wenn Eltern, Kitas und Schulen mehr gegen verstaubte Rollenklischees tun würden. Wir müssen gegensteuern, wann immer es um Geschlechterstereotypen geht. Ich freue mich immer, wenn ich in einen Kindergarten komme, und es nicht die Bauklotzecke für die Jungs und die Puppenküchenecke für die Mädchen gibt.“
Insgesamt sei die Gleichstellungspolitik sehr widersprüchlich, kritisiert Sieverding und verweist auf ein Sachverständigengutachten von 2011. Einerseits würden „Alibiveranstaltungen“ wie Boys'Day, Girls'Day und sogenannte MINT-Projekte finanziert. Andererseits: „Derzeit gibt es jede Menge falsche Anreize für Frauen, den erlernten Beruf später nicht auszuüben: Ehegattensplitting, Mini-Jobs, dreijährigen Erziehungsurlaub und jetzt auch noch das Betreuungsgeld. Das sollte man alles abschaffen.“
Die Bielefelder Projektleiterin Schöppner räumt ein, dass es nur langsam Fortschritte gibt. „In den Köpfen der Kinder sitzen die Rollenbilder ziemlich fest.“ So unterschiedlich die Einschätzung des Projekts ist, einig sind sich Schöppner, Sieverding und Kasten im Ziel. Die Psychologin Sieverding formuliert es so: „Ich fände es schön, wenn es irgendwann einmal Berufsentscheidungen - unabhängig vom Geschlecht - nach Neigung und Fähigkeit geben würde.“