Uni-Absolventen machen bewusste Karriere-Auszeit
Bergisch Gladbach (dpa/tmn) - Nach der Uni auf die Hauptschule: Immer mehr junge Leute wollen nach dem Studium erstmal etwas anderes machen. Die Initiative Teach First schickt sie an Problemschulen. Vor allem bei Top-Absolventen ist die bewusste Karriere-Pause beliebt.
Lena Löll hätte sofort durchstarten können. Mit Bestnoten hatte die BWL-Studentin die Uni verlassen. Doch statt sich einen gut bezahlten Job zu suchen, ging die Betriebswirtin an eine Hauptschule. Dort arbeitete sie zwei Jahre lang mit Kindern, die Probleme mit dem Lernstoff hatten. Dafür bekam sie 1750 Euro brutto im Monat. „Teach First“ nennt sich die Initiative, die Top-Studenten nach der Uni an Problemschulen schickt. Nicht allen Lehrern ist diese Verstärkung recht.
In den USA hat sich die Teach-First-Idee in den vergangenen 20 Jahren weit verbreitet. In Deutschland gibt es Teach First seit zwei Jahren. Lena Löll zählte zu den ersten, die an dem Programm teilnahmen. „Ich hatte so viel Glück durch mein Elternhaus, bin beim Abitur und im Studium unterstützt worden. Deshalb wollte ich etwas zurückgeben und anderen helfen, die diese Unterstützung nicht erhalten“, erzählt sie.
Bei vielen „Fellows“ sei die Motivation ähnlich, sagt Ulf Matysiak, Geschäftsführer von Teach First Deutschland. Ihr Leben lang hätten sich die meisten auf ihre Karriere vorbereitet. Aber wenn sie dann nach der Uni eigentlich durchstarten könnten, entschieden sie sich für ein soziales Engagement. „Viele wollen nach dem Studium einmal ganz andere Erfahrungen sammeln und etwas Praktisches machen“, sagt Matysiak.
Rund 700 Bewerber gibt es in Deutschland jedes Jahr für die gut 50 Plätze. Neben Top-Noten erwartet Teach First von den Bewerbern auch, dass sie schon Erfahrungen im sozialen Bereich gesammelt haben - etwa als Mitarbeiter in Vereinen oder in Hochschul-Organisationen. Drei Monate lang bereitet die Organisation ihre „Fellows“ auf ihren Einsatz vor. Dann geht es an die Schulen.
Lena Löll kam in eine Hauptschule in Bergisch Gladbach. „Ich war direkt mit Herzblut dabei“, erinnert sie sich. „Der Einsatz ist kaum vordefiniert. Am Anfang haben sich erstmal alle zusammengesetzt und überlegt, was die Schule braucht und was ich mit meinem Profil bieten kann.“ Schließlich machte sich die Betriebswirtin mit den Schülern daran, einen Kiosk aufzubauen. Eine extra gegründete Schülerfirma kümmert sich nun um den Betrieb.
Die Fellows kamen in Deutschland gerade am Anfang längst nicht überall gut an. Die Lehrergewerkschaften in einigen Bundesländern sahen die Teach-First-Kräfte als Konkurrenz und übten massive Kritik an dem Modell.
Der Bielefelder Pädagogik- und Psychologie-Professors Rainer Dollase hält diese Kritik für unberechtigt. Im Auftrag von Teach First und den beteiligten Bundesländern hat er das Programm an zehn Schulen untersucht. Sein Fazit über die „Fellows“: „Sie machen Lehrern keine Konkurrenz, sondern entlasten diese.“
Lena Löll nimmt aus den zwei Jahren an der Hauptschule in Bergisch Gladbach auch für sich persönlich wichtige Erfahrungen mit: Die Betriebswirtin will sich auch nach ihren zwei Jahren an der Hauptschule mit Bildung beschäftigen. Damit lässt sich zwar nicht das große Geld verdienen. „Aber ich habe gemerkt, dass mich Bildung begeistert und dass mich die Arbeit sehr erfüllt.“