Wie werde ich...? Physiotherapeut/in
Berlin (dpa/tmn) - Ein normaler Arbeitstag geht bei Physiotherapeut Stephan Hinkel so: Um 8.00 Uhr kommt der erste Patient - etwa mit Knieproblemen. „Tut etwas weh? Gab es Reaktionen nach der letzten Behandlung?
“, gehören zu den ersten Fragen. Wird das verneint, beginnt Hinkel mit der Mobilisation.
Er sorgt mit seinen Griffen dafür, dass zum Beispiel ein Gelenk beweglicher wird. Danach zeigt er dem Patienten Übungen, die er zu Hause machen kann. Um 8.25 Uhr kommt dann der Nächste - vielleicht mit starken Rückenschmerzen. Bis zur Mittagspause geht es nahtlos so weiter.
Hinkel arbeitet seit 1989 als Physiotherapeut, seit vielen Jahren mit eigener Praxis in Berlin-Moabit. Ihm gefällt an seinem Job, dass er in seinem Arbeitsalltag viel Kontakt mit Menschen hat. „Das ist alles andere als ein Bürojob!“ Und auch wenn viele seiner Patienten über 60 Jahre alt sind: Im Prinzip hat er es mit Menschen jeden Alters zu tun.
Physiotherapeuten oder Krankengymnasten, wie sie früher hießen, helfen Menschen, denen bestimmte Bewegungen oder Bewegungsabläufe schwerfallen, diese zu erlernen oder sie zu verbessern. Das können Kinder und Jugendliche sein, die mit einem Hohlkreuz kämpfen. Sie unterstützen Erwachsene, die an Knien oder Hüften Verschleißerscheinungen und Schmerzen haben. Sie behandeln Senioren, die nach einem Schlaganfall bestimmte Bewegungen neu lernen müssen.
Wer sich heute für den Beruf entscheidet, hat in Zukunft eine Anstellung so gut wie sicher, erklärt Rainer Großmann vom Deutschen Verband für Physiotherapie. Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für den Beruf, der Branche fehlt es an Fachkräften. Gleichzeitig steigt aufgrund des demografischen Wandels der Bedarf. Es gibt mehr ältere Menschen, die besonders häufig die Arbeit von Physiotherapeuten brauchen.
Das bestätigt Paul Ebsen, Sprecher der Bundesarbeitsagentur in Nürnberg. Im Oktober 2015 waren in dem Bereich 5150 offene Stellen ausgeschrieben, dem standen 3700 arbeitslose Physiotherapeuten gegenüber. „Insgesamt ist die Nachfrage also recht hoch, und rein theoretisch kann jeder arbeitslose Physiotherapeut eine Stelle bekommen“, erklärt Ebsen.
Dass es der Branche an Fachkräften fehlt, liege neben dem geringen Prestige des Jobs vor allem an den geringen Verdienstmöglichkeiten, glaubt Großmann. „Als Physiotherapeut verdient man in Berlin mit einer vollen Stelle etwa 1800 Euro brutto, in Brandenburg sind es sogar nur 1600 Euro“, sagt Großmann. Hinzu kommt, dass es nicht gerade billig ist, die Ausbildung zu machen. Im Schnitt muss man zwischen 15 000 und 20 000 Euro aufwenden - und zwar egal welchen Ausbildungsweg man wählt.
Um Physiotherapeut zu werden, gibt es zwei Wege. Die eine Möglichkeit ist, an einer Berufsfachschule eine dreijährige Ausbildung zu machen. Sie schließt mit einem Staatsexamen ab. Voraussetzung hierfür ist mindestens ein Realschulabschluss. Die andere Option ist, ein sechs oder sieben Semester langes Physiotherapie-Studium an einer privaten Hochschule zu absolvieren. Studenten erwerben ebenfalls das Staatsexamen - darüber hinaus aber auch einen Bachelorabschluss. Bewerber brauchen mindestens die Fachhochschulreife.
Für Großmann bietet der Studienabschluss den Vorteil, dass angehende Physiotherapeuten gelernt haben, wissenschaftlich zu arbeiten. Außerdem haben sie mit dem Abschluss andere Möglichkeiten, sich weiterzuqualifizieren. „In der praktischen Erfahrung sind beide aber hinterher gleich gut aufgestellt“, erklärt Großmann.
In beiden Ausbildungen stehen Themen wie Anatomie, Physiologie, motorisches Training oder Haltungsschulung auf dem Stundenplan. Angehende Physiotherapeuten beschäftigen sich außerdem mit Hydro- oder Elektrotherapie, mit Thermo-Anwendungen und Ultraschall.
Wer sich für den Beruf entscheidet, hat sich idealerweise in der Schule für Biologie interessiert, sagt Großmann. Man sollte auch genau beobachten können, denn Physiotherapeuten müssen erst einmal feststellen, an welchen Stellen des Bewegungsablaufs es hakt. Wichtig ist es außerdem, sportlich zu sein.
Über den Sport kam auch Physiotherapeut Hinkel zum Job. Er hat ursprünglich einmal Sport studiert und wollte in der Betreuung von Profi-Sportlern arbeiten. Als ihm dieser Berufswunsch zunehmend unrealistisch erschien, sattelte er um auf Physiotherapeut, den Beruf, den seine Schwester bereits ausübte.
Hinkel gefällt seine Arbeit - trotz des geringen Einkommens. Für ihn gibt es nichts Besseres, als täglich mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten in Kontakt zu kommen. Doch er schränkt auch gleich wieder ein: „Man kommt den Patienten allerdings auch sehr nah. Jeden Tag fremde Füße anzufassen, das ist nicht jedermanns Sache. Wem davor graut, der ist in dem Beruf verkehrt.“