Damit Trauer nicht zu groß wird

Wer den Tod eines geliebten Menschen beklagt, sollte den Schmerz zulassen und nicht verdrängen.

München. Abschied nehmen - das fällt besonders schwer, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist. Trauer ist eine normale Reaktion, die jeder für sich selbst zulassen muss und weder verleugnen noch verewigen sollte.

Und den Weg aus ihr heraus kann nur jeder selbst finden. Der Trauerforscher Konrad Baumgartner rät, Trauer als Verlust von lebensnotwendigen Bindungen zu sehen. Je nach Stärke der Bindung ist Trauer mehr oder weniger ausgeprägt.

Ein erster Schritt ist, bewusst Abschied vom Toten zu nehmen. Das führe vor Augen, dass dieser Mensch wirklich gestorben ist - im Gegensatz zu sprachlichen Verbrämungen wie "er ist sanft entschlafen" oder "sie ist beim lieben Gott", sagt Thomas Multhaup. "Nehmen Sie sich Zeit, dem Verstorbenen als Verstorbenen zu begegnen", empfiehlt der Trauerbegleiter aus München.

Dieser Rat ist wörtlich gemeint. Mit dem Toten reden, ihn streicheln oder umarmen - das kann noch daheim am Totenbett geschehen, in einem besonderen Raum im Krankenhaus, wenn jemand dort gestorben ist, oder bei der Aufbahrung beim Bestatter. Ein ebenso wichtiges Ritual, um den Verlust wahrzunehmen, ist die Beerdigung. "Denn dort wird gesagt, dass der Verlust geschehen ist", erläutert Baumgartner, emeritierter Theologieprofessor von der Universität Regensburg.

Die Trauer verdrängen oder durch Arbeit betäuben - das ist den Experten zufolge der falsche Weg. Trauer braucht Zeit, sagt Multhaup. "Wenn von einer Frau, die 30 Jahre verheiratet war, erwartet wird, dass sie nach 14 Tagen wieder voll im Beruf steht, ist das nicht gut."

Im Gegenteil: Sich nicht in den "Gefühlskühlschrank" zurückziehen, sei die richtige Strategie. Trauer muss sich aber nicht immer nur in Form von Traurigkeit oder Schmerz äußern. Es könne auch mal Zorn oder Wut entstehen, dass der andere einen verlassen hat, ergänzt Baumgartner. Diese Emotionen sollten ebenfalls nicht unterdrückt werden.

"Geteiltes Leid ist halbes Leid", sagt Prof. Frank Schneider. Allein spazieren gehen - das sei für Trauernde durchaus in Ordnung. Aber sie sollten nicht dauerhaft allein mit den eigenen Gedanken bleiben, rät der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN). Er empfiehlt: "Bereden Sie Ihren Schmerz mit anderen." Ansonsten drohe schnell eine Abwärtsspirale: Wer nicht über seine Gefühle redet, dessen Gedanken drehen sich im Kreis.

Auch bei diesem Schritt helfen nach Einschätzung von Trauerforscher Baumgartner Rituale. Das können Briefe an den Verstorbenen sein oder die regelmäßigen Besuche am Grab, die immer wieder zum Verabschieden genutzt werden. Zum Leben ohne den Verstorbenen gehört auch, sich immer wieder schöner gemeinsamer Momente oder gemeinsam besuchter Orte zu erinnern.

Multhaup plädiert dafür, sich jemanden zu suchen, der den Weg der Trauer mitgeht und dem Trauernden "wertschätzend" hilft. Das bedeutet, dass dieser Mensch den Trauernden daran erinnert, dass nicht nur die Vergangenheit von Bedeutung ist, sondern auch die Gegenwart. Kleine Freuden des Alltags zum Beispiel sind auch in der Trauerphase wichtig. "Es gibt keine nur dunklen Tage" - das sei ein Gedanke, den sich Trauernde immer wieder vor Augen führen sollten.

"Ich muss neue Lebensfähigkeit gewinnen, so sehr es mich auch immer wieder überkommt", sagt Baumgartner. Dazu müssen Trauernde lernen, ihre bislang mit dem Verstorbenen verknüpften, lebensnotwendigen Bindungsgefühle auf neue Menschen zu übertragen. Das muss nicht unbedingt ein neuer Partner sein - es kann auch durch ein Ehrenamt oder ein Hobby geschehen.

Zum Leben ohne den Verstorbenen gehört aber auch, den Mut zu haben, sich von vielen Dingen irgendwann zu trennen. Die Trauer sollte nicht mumifiziert werden, sagt der Forscher - etwa, indem das Zimmer des verunglückten Kindes über Jahre unverändert gelassen wird. Das sei genauso schlecht wie das Ausräumen gleich nach dem Tod.

Spätestens, wenn die Trauer so dominant wird, dass sie den Alltag komplett bestimmt, ist Hilfe von außen nötig. Das können zunächst ehrenamtliche Trauerkreise oder professionelle Trauerbegleiter sein - später auch Psychotherapeuten. "Dass man die ersten paar Tage völlig durch den Wind ist, ist ganz normal", sagt Schneider. Wer aber merke, dass er nach dem Trauerfall zum Beispiel Schlafstörungen nicht allein in den Griff bekommt, sollte seinen Hausarzt aufsuchen.