50 Jahre Aufwachsen in Deutschland - Jugendinstitut hat Jubiläum

München (dpa) - 1963 wurde das Deutsche Jugendinstitut gegründet. Heute, 50 Jahre später, sieht Institutschef Rauschenbach die politische Bedeutung der Jugend schwinden - das macht ihm Sorge. Denn die Jugendlichen sind seiner Ansicht nach heute viel unselbstständiger.

Die 1960er Jahre: Sex, Drugs und Rock'n'Roll bestimmen das Leben der deutschen Jugend. An den Unis bildet sich die Studentenbewegung, eine außerparlamentarische Opposition, freie Liebe wird zur zelebrierten Lebensform. Rebellion heißt das Motto der Jugend - gegen die Elterngeneration, gegen althergebrachte Traditionen, Familien- und Frauenbilder und gegen Alt-Nazis an den Spitzenpositionen der Gesellschaft.

50 Jahre später ist das Bild ein anderes. Wer die deutsche Jugend als homogene Gruppe beschreiben will, der tut sich schwer. Eine große Gemeinschaft mit gleichen Werten und Zielen sucht man vergebens. Die meisten Vertreter der „Generation Praktikum“ haben sich eingerichtet in dieser Welt und sind so mobil, wie der internationale Arbeitsmarkt es verlangt. Die junge Chemnitzer Band Kraftklub bringt die Unterschiede in ihrem Lied „Zu jung“ so zum Ausdruck: „Unsere Eltern kiffen mehr als wir. Wie soll man rebellieren? Egal wo wir hinkommen, unsre Eltern warn schon eher hier. Wir sind geboren im falschen Jahrzehnt. Und wir sitzen am Feuer, hören zu was die Alten erzählen.“

Seit 50 Jahren begleitet das Deutsche Jugendinstitut(DJI) in München die Jugend beim Aufwachsen in Deutschland. Am Mittwoch (26. Juni) feiert das Institut Jubiläum. „Damals hieß Jugend gleichzeitig auch Rebellion gegenüber Autoritäten; Jugendliche wollten nicht mehr so leben wie ihre Eltern, wollten neue Lebensformen erproben. Das zeigte sich in der Musik, in der Kleidung, in den Lebensstilen. Diese Unterscheidungen sind heute so nicht mehr da. Darum ist das Jugendalter etwas aus dem Blickfeld geraten“, sagt DJI-Direktor Thomas Rauschenbach. „Die 40-Jährigen wollen heute immer noch jung sein und die 14-Jährigen fühlen sich schon richtig alt.“

Bei der Gründung des Instituts im Jahr 1963 aber war das anders. „Auf einmal dämmerte es allen: Jugend ist die Zukunft.“ Darum musste eine Institution her, die „jugendkundliche Hilfestellungen“ gibt, wie der Erziehungswissenschaftler Rauschenbach sagt. Am Anfang lag der Schwerpunkt auf der Dokumentationsarbeit, später entwickelte sich das Aufgabenfeld in Richtung Erforschung der jeweiligen Jugend und ihrer Besonderheiten. Heute befasst sich Rauschenbachs Haus mit Themen von der anonymen Geburt bis hin zur Bildung. Im Rahmen der Studie „Aufwachsen in Deutschland“ werden seit 2009 alle vier Jahre 25 000 Menschen zu ihren „Alltagswelten“ befragt.

Was dabei rauskommt, soll Politikern helfen, die richtigen Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Aufwachsen in Deutschland zu schaffen. „Unser Schwerpunkt liegt in erster Linie nicht darauf, Missstände zu analysieren, sondern Wege aus den Problemen aufzuzeigen“, sagt Rauschenbach. Dabei versucht das DJI auch immer wieder, eine gewisse Sachlichkeit in überschäumende gesellschaftliche Debatten zu bringen.

Als Beispiel nennt Rauschenbach den Fall Kevin. Als der kleine Junge 2006 getötet gefunden wurde, war die Gesellschaft geschockt - natürlich zu Recht. Aber: „Als nach dem Fall Kevin die Debatte um Kindstötungen hochkochte, haben wir versachlichend darauf hingewiesen, dass die Zahl der Kindstötungen gegenüber der Zeit vor 10 oder 20 Jahren sogar abgenommen hat.“ Auch bei Themen wie der Betreuung unter Dreijähriger oder Kindesmissbrauch erhob das Institut immer wieder seine Stimme - um Benachteiligten eine Stimme zu geben.

„In der bedrückenden Auseinandersetzung mit dem sexuellen Missbrauch haben wir darauf hingewiesen, dass das Thema in Institutionen heute keineswegs verschwunden ist und Missbrauch von Kindern auch heute noch vorkommt“, betont Rauschenbach. „Was in Schulen besonders auffällig war, ist, dass es Missbrauch von Kindern auch untereinander gibt: 14-jährige, pubertierende Jungs, die elfjährige Mädchen anfassen.“

Die Jugend, da ist sich Rauschenbach sicher, hat viel mehr Aufmerksamkeit verdient, als sie heute aus Politik und Gesellschaft bekommt. „Demografisch aber schrumpft die Gruppe und ist darum für Politiker, die wiedergewählt werden wollen, weniger interessant. Dass dann lieber die Renten erhöht werden, liegt dann nicht ganz fern.“ Dabei gibt es ein ganz zentrales Thema, das Rauschenbach und seinen Mitarbeitern Sorge macht: Die Jugendlichen von heute sind viel später wirtschaftlich unabhängig als ihre Eltern. Von einem „hinausgeschobenen Erwachsenwerden“ sprechen Jugendexperten.

„Das Hotel Mama hat immer noch eine wichtige Funktion. Die Frage ökonomischer Unabhängigkeit spielt politisch keine Rolle, ist für mich aber alles andere als trivial“, sagt Rauschenbach und kritisiert: „Der Übergang in den Beruf, prekäre Situationen auf dem Arbeitsmarkt, Ausbildungslosigkeit, kurze Zeitverträge - die Jungen von heute müssen viele dieser Risiken schultern. Gleichzeitig sollen sie aber selbstständig werden und Familien gründen. Das ist gesellschaftlich nicht gut organisiert.