Abenteuer Aupair-Oma - 72-Jährige geht nach Kanada

Springe (dpa) - „Mit 66 Jahren fängt das Leben an“ ist das Motto von Christa Gassmann. Die alleinlebende 72-Jährige wagt etwas ganz Neues: Sie wird Aupair-Oma in einer Familie in der kanadischen Provinz Manitoba.

Sie hat vier Kinder großgezogen, einen Bauernhof gemanagt und könnte jetzt eigentlich mit ihren Freundinnen schöne Städtereisen machen. Doch das ist Christa Gassmann aus Springe bei Hannover viel zu langweilig. Die 72-Jährige hat sich als Aupair-Oma beworben. Jetzt fliegt die Seniorin nach Kanada - „zu meiner neuen Familie“, wie sie sagt. Mindestens drei Monate lang wird die rüstige Witwe in der Provinz Manitoba vorwiegend auf die sieben und neun Jahre alten Söhne einer deutschen Auswanderer-Familie aufpassen. Die Mutter arbeitet als Erzieherin und kommt nachmittags mit der fünfjährigen Tochter aus dem Kindergarten.

Christa Gassmann hat sich bestens vorbereitet. Seit zehn Jahren besucht sie Englischkurse bei der Volkshochschule, auch Sprachferien im englischen Cornwall hat sie absolviert. Mit der Grammatik steht sie noch auf Kriegsfuß, das stört sie wenig. „Ich spreche eben Englisch wie die Polen hier Deutsch“, meint die Aupair-Oma. Ihre Freundinnen bewundern nach anfänglicher Skepsis ihren Mut, ihre kinderlosen erwachsenen Söhne und Töchter unterstützen die Mutter, die ihr Leben lang die eigenen Interessen hinten angestellt hat.

Das Abenteuer Kanada möglich macht die Hamburger Agentur „Granny Aupair“. Etwa 300 unternehmungslustige Frauen jenseits der 50 haben sich seit der Gründung Anfang 2010 in die Kartei aufnehmen lassen, 50 Aupair-Omas wurden seither vermittelt. „Ich möchte Frauen helfen, ihren Lebenstraum zu verwirklichen“, sagt Gründerin Michaela Hansen. Eine Seniorin ging sogar nach Tasmanien, andere bringen ihre Erfahrungen in sozialen Projekten in Afrika ein. Hansen warnt vor zu hohen Erwartungen. „Es kann immer passieren, dass die Chemie zwischen Aupair und der Familie nicht stimmt, das ist unabhängig vom Alter.“

Die seit vier Jahren allein lebende Christa Gassmann hat keine Angst vor dem Eintauchen in eine turbulente Familie. „Ich bin unkompliziert und nehme mich selbst nicht so wichtig.“ Mit den Jungs werde sie sich verstehen. „Wenn sie in die Pubertät kommen, wird es schwieriger.“ Ein Auto bekommt sie gestellt, um mit den Kindern zum Beispiel zum Schwimmen zu fahren. Außerdem ist Kost und Logis frei.

Die kanadische Familie wünscht sich eine ältere Frau, die Verantwortung übernimmt. „Zum nächsten Nachbarn muss man mit dem Auto fahren, eine junge Frau würde sich dort vielleicht langweilen“, meint die Aupair-Oma. Sie will auch mit Koch- und Backkünsten punkten. Rezepte für ihre Spezialitäten Erdbeer-Mascarpone-Torte und Donauwellen liegen schon im Koffer.

„Es ist ein Trend, dass Menschen im Alter nicht die Hände in den Schoß legen wollen“, sagt Julia Haun vom Senioren Experten Service (SES) in Bonn. Die Stiftung vermittelt ehrenamtliche Fachleute vor allem ins Ausland, 2010 waren so viele Senioren im Einsatz wie noch nie in der 28-jährigen Geschichte des SES. 9000 Menschen sind hier registriert, die im Ruhestand Lust auf Neues haben. Für Christa Gassmann war das Schlüsselerlebnis ein Klassentreffen 1998 in den USA bei einer ausgewanderten ehemaligen Mitschülerin. „Als ich auf dem Empire State Building stand, kamen mir die Tränen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas noch erleben darf.“

Auch wenn es jetzt nicht in eine Metropole, sondern in die kanadische Prärie geht, freut sich die 72-Jährige auf das Abenteuer. Läuft alles gut, möchte sie noch den berühmten Indian Summer in Kanada erleben. Auf ihren Hof in Springe passt so lange die Mieterin auf. Doch wenn die Temperaturen im kanadischen Winter auf minus 30 Grad sinken, reist sie heim. „Ich habe meinem Neffen versprochen, zum Plätzchen und Baumkuchen backen vor Weihnachten bin ich zurück.“