Bevölkerungsforscher: Elternideal schlecht für Kindersegen

Wiesbaden (dpa) - In Deutschland fehlen die Kinder. Doch noch mehr Geld wird keinen Babyboom bringen, sagt ein Forscher. Sein ungewöhnlicher Rat an die Eltern: Nehmt Kinder nicht wichtiger als euch selbst!

Wiesbaden (dpa) - In Deutschland fehlen die Kinder. Doch noch mehr Geld wird keinen Babyboom bringen, sagt ein Forscher. Sein ungewöhnlicher Rat an die Eltern: Nehmt Kinder nicht wichtiger als euch selbst!

Die Deutschen machen um ihre Kinder zu viel Aufhebens - auch deshalb bekommen sie nach Expertenmeinung seit Jahrzehnten so wenige. Der Bevölkerungsforscher Prof. Norbert Schneider sieht als einen Grund für die niedrige Geburtenzahl in Deutschland ein überzogenes Elternideal. Es gehe nicht um fehlendes Geld, sondern um Kultur: „Es wird erwartet, dass Eltern ganz für die Kinder da sind. Damit ist Elternschaft immer unattraktiver geworden“, sagte der Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Die Behörde in Wiesbaden berät seit 40 Jahren die Bundesregierung in Fragen des demografischen Wandels.

Gerade die Erwartungen an moderne Mütter seien widersprüchlich und nicht zu erfüllen. „In diesen Konflikt wollen sich die Menschen nicht begeben. Die Gesellschaft erwartet erwerbstätige Mütter, die unabhängig von ihrem Mann sind, die sich aber auch intensiv um die Kinder kümmern“ - so beschreibt Schneider (57) die Überforderung.

Es gebe kaum positive Leitbilder: Mütter seien entweder „Rabenmütter“, „Heimchen am Herd“ oder „Latte-Macchiato-Mütter“, für die sich alles nur ums Kind drehe. Kinderbetreuung außer Haus gelte immer noch als minderwertig, auch wenn sich dies langsam ändere. Das Leitbild mit der Spannung zwischen Frauenemanzipation und Kindeswohl hat sich nach seiner Überzeugung seit den 1980er Jahren entwickelt.

Schneider sieht Deutschland in einem Kulturwandel. Andere Länder hätten andere Antworten gefunden - mit besseren Ergebnissen für die Geburtenrate. „Frankreich ist immer noch ein patriarchalisches Land, das Familienbild ist traditioneller.“ Dort sei das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern distanzierter: „Die Bedürfnisse der Erwachsenen gehen vor, Kinder stehen nicht so im Mittelpunkt wie in Deutschland.“ Nordische Länder wie Dänemark hätten dagegen die Bedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt gestellt. Sie würden früh und umfassend betreut und gefördert. Doch auch dies entlaste die Eltern.

Deutschland müsse seine Kinderbetreuung noch verbessern, folgerte Schneider. Auch seien vielfältige Möglichkeiten von Teilzeitarbeit notwendig. „Wir wissen, dass viele Mütter Arbeitszeiten zwischen 27 und 32 Stunden anstreben.“ Väter wollten eher 35 als 40 Stunden arbeiten. Das gebe Familien die Freiheit, ihre Lebensform zu wählen. Vor allem aber müsse man inneren Druck von den Eltern nehmen. „Wir brauchen mehr Gelassenheit“, sagte Schneider. „Die Idee ist falsch, dass Kinder sich besser entwickeln, wenn man sich permanent um sie kümmert.“

Das 1973 gegründete Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung begeht sein Jubiläum am Freitag (21. Juni.) mit einer Konferenz zum demografischen Wandel.