Der Druck ist groß: Inkontinenz im Alter nicht einfach hinnehmen

Köln (dpa/tmn) - Immer die nächstgelegene Toilette kennen: Bei einer Inkontinenz ist der Alltag deutlich eingeschränkt. Viele Senioren nehmen das Problem als unausweichlich hin. Mit Disziplin und Training lässt sich die Blase aber unter Kontrolle kriegen.

Irgendwann hat Roswitha Gräble darauf geachtet, sich im Café oder Restaurant immer ganz nach außen zu setzen. „Um schnell aufs Klo gehen zu können“, erzählt die 63-Jährige. Bei der gelernten Kinderkrankenschwester fing die Blasenschwäche früh an: 48 war sie, als sie zum ersten Mal merkte, dass sie den Harn nicht mehr halten kann. Bis sie sich ihrem Hausarzt anvertraute, verging ein weiteres Jahr. „Ich dachte erstmal, das sei normal.“

Das sei nicht ungewöhnlich, sagt Daniela Schultz-Lampel: „Viele denken: "Da kann man ja doch nichts machen".“ Schultz-Lampel ist Leiterin des Kontinenz-Zentrums Südwest und berät täglich Betroffene. Es sei zwar normal, dass die Kontrolle über die Blase mit dem Alter nachlasse. Inkontinent sei man deshalb aber noch lange nicht.

Trotzdem zögerten viele den Gang zum Arzt erstmal hinaus - aus Scham und Angst. „Es wird sich einfach was in die Unterhose gelegt“, sagt Angelika Sonnenberg, Fachkraft für Kontinenz im Krankenhaus Köln-Hohenlind und Leiterin einer Selbsthilfegruppe. Zum Gynäkologen oder Urologen zu gehen, sei aber der wichtigste Schritt: Denn erst dann wird klar, ob es sich überhaupt um eine Inkontinenz handelt - und nicht etwa ein Harnwegsinfekt dahintersteckt. Außerdem ist es für die Behandlung wichtig zu wissen, um welche Art von Inkontinenz es sich handelt.

Typisch ist bei Senioren die überaktive Blase: „Das heißt, die Zeit zwischen dem ersten Harndrang und dem Gang zur Toilette wird immer kürzer“, sagt Schultz-Lampel. Manche schaffen es gar nicht mehr rechtzeitig. Vor allem Frauen leiden außerdem oft unter einer Belastungsinkontinenz. Dabei verlieren sie den Urin tröpfchenweise beim Husten, Niesen oder Heben. Je nach Form der Inkontinenz können Medikamente helfen, die den Harndrang unterdrücken.

Dem Beckenboden kommt bei der Behandlung von Inkontinenz eine entscheidende Rolle zu: Die Platte aus Muskeln und Bindegewebe schließt das Becken nach unten ab, stützt die Eingeweide und umschließt die Harnröhre. Gezieltes Training kann die schlaffe Muskelpartie wieder kräftigen.

So hat auch Roswitha Gräble das Problem in den Griff bekommen: Sie kombinierte die Gymnastik mit einem Biofeedbackgerät, bei dem eine Vaginalsonde eingeführt wird. Das Gerät gibt in einem bestimmten Zeitabstand leichte Stromstöße, woraufhin sich die Muskeln zusammenziehen. Aber auch ohne Gerät bringen die Übungen meist eine spürbare Verbesserung. Wichtig ist, dass Betroffene durch gut ausgebildete Physiotherapeuten angeleitet werden. Eine Liste findet sich etwa online bei der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologie, Geburtshilfe, Urologie und Proktologie (AG GGUP). Entscheidend ist es, die Übungen regelmäßig zu machen - ein Leben lang. Nachlässigkeit rächt sich sofort.

Im Alltag kann es helfen, spezielle Inkontinenzvorlagen zu tragen. Sie können etwa 500 bis 600 Milliliter Urin auffangen. „Nicht einfach selbst in die Drogerie gehen und sich was kaufen“, rät Schultz-Lampel. Besser sei, sich in der Apotheke oder im Sanitätshaus beraten zu lassen.

Ob Hilfsmittel, Beckenbodengymnastik oder Medikamente: Jeder muss für sich selbst den besten Weg finden, um mit einer Inkontinenz zurechtzukommen. „Die eine Wunderpille gibt es nicht„, sagt Sonnenberg. In den seltensten Fällen sei es aber zu spät, um noch etwas ändern zu können.