Schlagfertig: Selbstverteidigung für Senioren
Köln (dpa/tmn) - Jugendliche pöbeln in der U-Bahn eine Oma an. Auch wenn sie den Burschen körperlich unterlegen ist, muss sie das nicht hinnehmen - wehren können sich Senioren auch mit Worten. In speziellen Kursen lernen sie außerdem, brenzlige Situationen zu vermeiden.
Überfälle im Stadtpark oder Pöbeleien im Bus - die Angst älterer Menschen vor Attacken und Gewalt ist oft groß. Viele trauen sich in der Dunkelheit nicht mehr aus dem Haus, weil sie nicht wissen, wie sie Tätern gegenübertreten sollen. Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurse können Senioren helfen, ihre Ängste abzubauen. Denn wer selbstbewusst daherkommt, wird Untersuchungen zufolge seltener zum Opfer.
„Wir haben gemerkt, dass es speziell für Frauen immer schwieriger wird, abends rauszugehen“, sagt Gabriele Pechel, Referentin in der Altenpastoral im Erzbistum Köln. Weil die Probleme immer größer wurden, hat man dort den Kurs „Selbstbewusst und sicher ins Alter“ ins Leben gerufen. Ziel sei es, „die Frauen zu stärken, um ihre Angst nicht zu groß werden zu lassen“. Mehr Sicherheit und Selbstvertrauen bedeute auch mehr Lebensqualität, sagt Pechel.
Anders als bei vielen Selbstverteidigungskursen für Jüngere stehen in Köln nicht Kampfkunsttechniken wie Ju-Jutsu oder Kickboxen im Vordergrund. „Sie brauchen keine Grundfitness mitzubringen“, erklärt Pechel. „Die Übungen sind so gestaltet, dass jede Frau sie ausführen kann.“ Selbstwahrnehmung, Konzentration und einfache Schlagtechniken würden erlernt. Es geht um Fragen wie: „Wenn ich mit meiner Faust zuschlage, wie mache ich das?“, sagt Pechel und erklärt: „Der Daumen darf dabei nicht in die Faust, sonst könnte er brechen.“
Bei anderen Übungen lernen die Teilnehmer, wie sie sich aus einer Umklammerung lösen oder jemandem den Arm umdrehen können. Auch eigentlich unfaire Tritte oder Schläge werden in solchen Veranstaltungen geübt, sei es an den Hals oder unter die Gürtellinie.
Gute Selbstverteidigungskurse für 60-Jährige und Ältere bieten Übungen für jedermann. Leichte Verteidigungstechniken, die auch ohne viel Kraft zu schaffen sind, sollten dort trainiert werden. Es geht darum, den Gegner so schnell wie möglich außer Gefecht zu setzen. Denn für längere Kämpfe fehlt Senioren meist die Ausdauer.
In vielen Städten gibt es Angebote für wenig Geld oder kostenlos, etwa von Wohlfahrtsverbänden, Volkshochschulen oder Kirchen. In Mülheim an der Ruhr und Neuss konnten zum Beispiel Kurse mit Polizeisportvereinen auf die Beine gestellt werden.
Selbstschutz bedeutet nicht nur, andere zu attackieren. „Zu 95 Prozent geht es um Vermeidung gefährlicher Situationen“, erläutert Pfarrerin Susanne Domnick von der evangelischen Kirchengemeinde Friedberg in Hessen, wo mehrmals im Jahr Verteidigungskurse für Senioren angeboten werden. „Ältere Menschen können sich nicht gegen brutale Angriffe wehren. Sie können aber lernen, gefährliche Situationen zu vermeiden.“ Wer beispielsweise randalierenden Jugendlichen begegnet, sollte keinen mit den Augen fixieren, auf Beschimpfungen nicht reagieren und der Horde möglichst ausweichen.
Spitzt sich die Situation zu, sollten auch über 70-Jährige Mut fassen: „Egal wie alt man ist, man kann sich immer wehren“, sagt Pechel. Sich der eigenen Stärken bewusst zu werden, sei das Ziel solcher Seminare. „Jemand, der aufrecht und sicher geht, wird seltener angegriffen.“ Zuschlagen koste Überwindung, aber manchmal sei nichts anderes mehr möglich. Sich wehren ist keine Frage der körperlichen Kraft: „Es hat mit Geschicklichkeit und Treffsicherheit zu tun.“
Bundesweit gibt es auch spezielle Angebote zur Verteidigung mit Gegenständen wie Regenschirm oder Spazierstock. Wichtig ist das Rollenspiel: Der eine Teilnehmer mimt den Täter, der andere das Opfer. Am besten fragen Interessierte nach einer Probestunde. Manchmal werden auch Infoabende vor den Kursen angeboten.
Polizeihauptkommissar Peter Rettinger aus Würzburg mahnt bei allem Engagement allerdings zur Vorsicht. Schließlich seien die meisten Täter Älteren körperlich überlegen. „Wir empfehlen bei fast allen Dingen, deeskalierend zu handeln.“ Dieben sollte man keine überziehen, sondern sie mit der Handtasche davonlaufen lassen. Wer allzu hartnäckig sein Hab und Gut verteidigt, könne sich schnell verletzen. „Wenn ich mit Gewalt dagegen halte, kann es sein, dass der Täter mit Gewalt antwortet, obwohl er das eigentlich gar nicht beabsichtigt hat“, sagt Rettinger. Manchmal helfen auch Worte. Wer andere in der U-Bahn um Hilfe bittet, trifft nicht unbedingt auf taube Ohren.