Abstinent seit 1851: Guttempler feiern Jubiläum
Flensburg (dpa) - Säufer, die nicht mehr trinken? Im 19. Jahrhundert war die Polizei oft skeptisch, wenn sich Guttempler-Logen gründeten. Am 3. Oktober begeht die inzwischen in 60 Ländern aktive Abstinenten-Organisation ihren internationalen Gedenktag.
Ingrid Christiansen ist das, was man eine feine ältere Dame nennt, mit Perlenkette und frisch frisiertem, ergrautem Haar. Sie erzählt von ihrem Sohn, dem promovierten Chemiker. Der hat sie hierhin gelotst, damals, als sie an der Flasche hing. „Ich bin durch eine Beziehung zum Alkohol gekommen.“ Seit 24 Jahren ist sie trocken, und zu verdanken hat sie es den Guttemplern, die „wie eine Familie“ für sie sind.
Ihr Sohn war damals Abiturient und riet ihr, zu der Abstinenten-Gemeinschaft zu gehen, die sich 1851 in den USA gründete und heute weltweit in mehr als 60 Ländern vertreten ist. Als Christiansen 1987 die Flensburger Guttempler aufsuchte, lud man sie zu einem Treffen ein und zwei Templer nahmen sich ihrer an. Die folgenden dreieinhalb Jahre ging sie zum Gesprächskreis.
Christiansen geriet an die Nachfolger der ersten deutschsprachigen Guttempler-Loge auf deutschem Boden. Zuvor hatte es eine dänischsprachige im damals deutschen Hadersleben (heute Haderslev) gegeben. 1887 dann gründete sich in Flensburg „Digynia No. 20“ - nach dem botanischen Begriff für zwei Griffel in einer Blüte, eine Anspielung auf Deutsche und Dänen in der Loge.
Die Polizei war skeptisch: Säufer, die nicht mehr saufen? Aber die Bewegung wuchs. Mit der Geschichte der Guttempler kennt sich Joachim Zöhrens bestens aus. Der 66-Jährige hat Deutschlands einziges Guttemplermuseum eingerichtet. In Mildstedt bei Husum zeigt er Besuchern seine Schätze aus den vergangenen 160 Jahren: Banner aus Samt und Brokat, das Protokollbuch der ersten Flensburger Loge, Ordenstrachten und Aufnahmescheine. Auch einen Kasten ist dabei, in den Alt-Mitglieder eine weiße oder schwarze Kugel legten - je nachdem, was sie von einem um Aufnahme bittenden Menschen hielten. Wer mehr schwarze Kugeln bekam, musste sich woanders Hilfe suchen.
Auch der Mildstedter Rentner ist über den Alkohol zu den Guttemplern gekommen. Seit 32 Jahren ist er trocken, der Vereinigung ist er treugeblieben. Dankbarkeit für die geleistete Hilfe war es auch, die ihn zur Gründung des Museums bewegte: „Ich wollte etwas machen, was sonst keiner macht.“ Das ist ihm gelungen: In Europa gibt es nur noch ein weiteres Museum - in Island. Traditionell sind die Templer mehr im Norden vertreten, in Deutschland vor allem in Schleswig-Holstein und Hamburg.
Auch heute noch gilt der Grundsatz: abstinent bleiben, sonst muss man gehen. Vielleicht haben die Guttempler deswegen Nachwuchssorgen: Die Jüngsten sind um die 50. Bei den Anonymen Alkoholikern (AA) sei alles ohne Verpflichtung, vielleicht spreche das mehr Menschen an, meint Ingrid Christiansen. Dabei bieten die Guttempler doch so viel, findet die 70-Jährige. „Hier ist auch Stimmung, hier geht es nicht nur trocken zu.“ Die Guttempler seien auf dauerhafte Kontakte ausgerichtet, auf ein umfangreiches Kulturprogramm mit Vorträgen und Diskussionen. „Ausschließlich über Alkohol reden, das könnte ich nicht.“