Beziehungen durchleuchten: Die Systemische Therapie

Hannover (dpa/tmn) - Jeder Mensch gehört einem oder mehreren sozialen Systemen an. In solchen Beziehungsgeflechten kann es zu psychischen Schwierigkeiten kommen. Systemtherapeuten sehen sich mit ihren Patienten diese Verhältnisse an - und versuchen, sie zu verändern.

Menschen und ihre Probleme sind nicht losgelöst von ihrem Umfeld. Welchen Sinn und welche Auswirkungen psychische Schwierigkeiten innerhalb von Beziehungen haben und wie sie Beziehungen verändern können, ergründen Systemtherapeuten mit ihren Patienten. „Bei der Systemischen Therapie steht nicht das Individuum allein im Vordergrund, sondern es wird immer im Zusammenhang mit seinem sozialen System betrachtet“, sagt Cornelia Oestereich, Vorsitzende der Systemischen Gesellschaft. Dieses System könne beispielsweise die Familie, die Partnerschaft, aber auch die soziale Bezugsgruppe eines Menschen sein. Entwickelt hat sich die Systemische Therapie aus der Familientherapie.

„Oft treten psychische Erkrankungen auf, wenn sich größere Dinge im Leben verändern, etwa durch das Ausziehen aus dem Elternhaus, den Eintritt ins Rentenalter oder die Geburt eines Kindes“, sagt Oestereich, die als Ärztliche Direktorin die Psychiatrie des Klinikums Region Hannover Wunstorf leitet. „Ein soziales System, etwa eine Familie, kann bei der Bewältigung der anstehenden Herausforderungen ins Stocken geraten sein. Es kann sinnvoll sein, sich diese Phänomene und ihre Auswirkung auf die Beziehungen gemeinsam im therapeutischen Gespräch von vielen Perspektiven her anzuschauen.“ So könne eine Depression bei Jugendlichen etwa auf Schwierigkeiten beim Loslösen von den Eltern hinweisen.

„Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die Kommunikation zwischen einem Patienten und den für ihn wichtigsten anderen Menschen seine Beschwerden beeinflussen und von diesen beeinflusst werden“, sagt Prof. Jochen Schweitzer, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). Es werde besprochen, ob und wie diese Beziehungskreisläufe von allen Beteiligten „gesundheitsförderlich“ verändert werden können.

Sei in einer langjährigen Beziehung beispielsweise ein Partner depressiv, könne es sehr darauf ankommen, wie der andere darauf reagiert - und wie dies wiederum auf den depressiven Partner wirkt. „Sagt der nicht-depressive Partner dauernd schwungvoll 'Kopf hoch - ich sortiere jetzt mal dein Leben, damit du wieder in Schwung kommst', kann der depressive Partner das als Hilfsangebot auffassen.“ Vielleicht fühle er sich aber auch nicht ernst genommen und angesichts der Hilfsbereitschaft des Partners noch inkompetenter oder schuldiger an seinem Zustand. „Ganz wichtig ist jedoch, dass systemische Therapeuten aktiv vermeiden, jemandem die Schuld an einer Situation zuzuschieben“, sagt Oestereich. „Es muss klar sein: Niemand bekommt den Schwarzen Peter.“

Bei der Systemische Therapie gibt es Sitzungen mit Familien oder Partnern, aber auch Einzeltherapien. „Grundvoraussetzung ist die Erkenntnis, dass auch in einem sozialen System jeder nur sich selbst ändern kann und nur darauf hoffen kann, dass die anderen sich auch verändern“, sagt Schweitzer. Zum Einsatz kommen auch visuelle und handlungsorientierte Methoden. Dazu gehören das Aufmalen eines Familienstammbaums und das Familienbrett, bei dem mit Figuren auf einem Brett Beziehungssituationen dargestellt und anschließend Veränderungsmöglichkeiten besprochen werden. Eine weitere Methode, deren Zugehörigkeit zur Systemischen Therapie kontrovers diskutiert wird, ist eine Familienaufstellung. Bei dieser stellt der Patient andere Menschen - beispielsweise aus einer Therapiegruppe - in einem bestimmten Abstand zu sich auf und beschreibt so das Verhältnis zu den Mitgliedern seiner Familie.

Die Systemische Therapie gehört zu den in Deutschland als wissenschaftlich anerkannten Verfahren. Oft finden Therapiesitzungen in einem Abstand von vier und mehr Wochen statt - es gibt keine im Vorhinein festgelegte Anzahl. Häufig sind es zwischen 5 und 20. Eine Sitzung dauert in der Regel 90 bis 100 Minuten. Die Kosten werden im ambulanten Bereich jedoch nicht von den Gesetzlichen Krankenkassen erstattet. Die Fachgesellschaften haben beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) Studien eingereicht und setzen sich für die Kassenfinanzierung ambulanter systemischer Therapien ein. Laut Bundespsychotherapeutenkammer gelten unter anderem affektive Störungen und Essstörungen bei Kindern und Erwachsenen, psychische und soziale Faktoren bei somatischen Krankheiten sowie Verhaltensstörungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend als Anwendungsbereiche.