Ins Unbewusste abtauchen - Die Psychoanalyse
Berlin (dpa/tmn) - Frei erzählen, was einem gerade durch den Kopf geht: Das ist das Grundprinzip der Psychoanalyse, um Ursachen für seelische Krankheiten auf den Grund zu gehen. Dabei spielt die Vergangenheit eine wichtige Rolle - um in Zukunft besser klar zu kommen.
„Sich auf die Couch legen“ - dieser Begriff wird häufig verwendet, wenn es um eine Psychotherapie geht. Genau genommen trifft er jedoch nur auf die analytische Psychotherapie und die klassische Psychoanalyse zu. Bei dieser Therapieform liegen die meisten Patienten, aber nicht alle, tatsächlich auf einer Couch im Behandlungszimmer, und schauen den Therapeuten während der Sitzung nicht an. „Dies soll es dem Patienten erleichtern, sich mit seiner inneren Welt, seinen Gedanken und Gefühlen zu beschäftigen“, sagt Prof. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer.
Die Psychoanalyse geht auf den Arzt Sigmund Freud (1856-1939) zurück. Freud entwickelte die Vorstellung, dass jeder Mensch drei psychische Instanzen in sich hat: Das Es für unbewusste Triebe, das Über-Ich für eine Art Gewissen und Werte, die dem Menschen vermittelt wurden, sowie das Ich als eigentlich handelnder Mensch. Psychoanalytiker gehen davon aus, dass Unstimmigkeiten zwischen den drei Instanzen und ungelöste Konflikte in der Kindheit und Jugend zu seelischen Krankheiten führen können. „Auch wenn es nicht nur oder hauptsächlich um die Kindheit geht, so spielen doch Biografie und Vergangenheit eine wichtige Rolle“, sagt Wendula Walther-Kirst vom Michael-Balint-Institut in Hamburg.
Bei der Psychoanalyse wird der Patient dazu angehalten, möglichst frei zu erzählen, was er gerade denkt und fühlt. Mit der sogenannten gleichschwebenden Aufmerksamkeit hören Psychoanalytiker zu und versuchen, Muster zu ergründen, die immer wieder kehren. „Dabei entwickelt sich eine Beziehung, die nicht nur auf die reale Person des Analytikers bezogen ist, sondern der Patient überträgt und projiziert zunächst unbewusst seine im Leben durchgemachten Gefühle oder Beziehungen auf den Therapeuten“, erklärt Klaus Poppensieker, Leiter des Hamburger Ausbildungsinstituts für Psychoanalyse und Psychotherapie der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft.
Beispiele seien Autoritäts- oder Versagensängste, die den Menschen unglücklich oder depressiv machen könnten, erklärt Poppensieker. Der Analytiker versuche, dem Patienten im Laufe der Zeit solche Übertragungsmuster zu spiegeln, sodass bisher unbewusste und vermiedene Gefühle - die zu Symptomen geführt haben - spürbar werden. Er biete sich an, tief sitzende Wünsche oder alte Konflikte aufzunehmen, um sie dann mit dem Patienten zu bearbeiten.
Für welche Patienten eine analytische Psychotherapie am besten geeignet ist, ist Gegenstand der Forschung, und wird durchaus kontrovers diskutiert. Prof. Sabine Herpertz von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde sieht eine klassische Psychoanalyse vergleichsweise selten angezeigt, etwa bei leichten Depressionen. Man wisse, dass die analytischen Verfahren wirksam seien, sagt Richter. „Aber wir haben eine unbefriedigende Datenlage, welches psychotherapeutische Verfahren wirklich am besten bei welcher Erkrankung indiziert ist“, ergänzt er.
Nach Anne Springers Einschätzung von der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie eignet sich eine analytische Psychotherapie unter anderem bei Persönlichkeitsstörungen, die mit gestörten Beziehungen einhergehen. Für Depressionen gebe es gute Nachweise, dass eine Analyse wirkt, weniger jedoch bei Ess- oder Zwangsstörungen. Als nicht geeignet für eine Psychoanalyse gelten beispielsweise akute Psychosen.