Interview mit Rainer Hess: „Das Vertrauen ist beeinträchtigt“

Ein neues Transplantationsregister ist geplant — doch ein Jahr nach dem großen Skandal spenden nur wenige ihre Organe.

Berlin. Am Freitag vor einem Jahr wurde der Transplantationsskandal an der Universitätsklinik Göttingen bekannt. Es folgten Fälle in München, Regensburg und Leipzig. Ärzte hatten die Krankenakten von Patienten so manipuliert, dass sie schneller neue Organe bekamen als andere. Seitdem gebe es weniger Spender, sagt Rainer Hess, Chef der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

Herr Hess, wie sieht die Spende-Statistik im Moment aus?

Rainer Hess: Im Vergleich zur Halbjahresbilanz 2012 ist die Zahl der Spender um 18,3 Prozent zurückgegangen. Es sind rund 12 000 Patienten, die ein Organ benötigen, und wir haben gleichzeitig einen Rückgang bei den Transplantationen um 12,3 Prozent. Vergangenes Jahr hatten wir den tiefsten Stand seit 2002.

Worauf führen Sie den Vertrauensverlust zurück?

Hess: Sicherlich führe ich das auf die Wartelisten-Manipulationen zurück, weil dadurch ja in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, dass die Organe an falsche Personen abgegeben wurden. Das beeinträchtigt das Vertrauen, weil derjenige, der spendet, die Gewissheit haben will, dass es die Richtigen bekommen.

Wie kann man das Vertrauen zurückgewinnen?

Hess: Man muss vor allem den Menschen deutlich machen, dass durch diese Manipulationen an der Warteliste, die Notwendigkeit der Organspende letztlich nicht beeinträchtigt worden ist. Denn alle, die ein Organ bekommen haben — mögen sie auch auf der Warteliste tiefer gestanden haben — , haben dieses Organ ja nötig gehabt. Alle gespendeten Organe sind auch eingesetzt worden. Sie wurden also nicht verschwendet.

Wie kann mehr Transparenz in dem System geschaffen werden?

Hess: Es gibt eine Task Force, die direkt nach dem Bekanntwerden der Manipulationen eingesetzt wurde. Experten der Bundesärztekammer prüfen die Transplantationszentren. Künftig soll es zudem ein Transplantationsregister geben. So wird transparent, mit welcher Qualität in Deutschland Organe entnommen und transplantiert werden.

Es gibt andere Modelle aus EU-Ländern, die bessere Statistiken aufweisen. In Spanien setzen Ärzte zum Beispiel mehr Organe ein.

Hess: In Spanien sind die Vorgänge Spenden und Empfangen eng aneinander gekoppelt. Die Krankenhäuser kooperieren auch miteinander und legen regional ihre Wartelisten fest. In Deutschland gibt es eine zentrale Warteliste, nach der die vorhandenen Spenderorgane verteilt werden. Wenn Krankenhäuser in Spanien viele Organe spenden, bekommen sie auch viele. Das ist ein anderes Anreizsystem.