Mit dem Skalpell gegen Fettsucht - Hoffnung bei Diabetes
München (dpa) - Knie, Hüfte, Schilddrüse - deutsche Patienten landen oft zu schnell unterm Messer. Das sehen sogar Chirurgen so. Zu selten kommt das Skalpell nach ihrer Ansicht aber bei extremem Übergewicht zum Einsatz.
Neue Hoffnung: Die OP hilft sogar bei Diabetes.
Die Methode klingt einfach: Das Magenvolumen wird verkleinert, die Übergewichtigen essen weniger - und nehmen dauerhaft ab. Nebeneffekt: Bei vielen verschwindet mit der Operation auch der Diabetes. Während der Abnehmeffekt als erwiesen gilt, warnen Ärzte vor zu großen Hoffnungen bei der Zuckerkrankheit. Es fehlen Langzeitergebnisse. Der Mechanismus der „Spontanheilung“ ist nicht genau geklärt, sie klappt nur beim durch Übergewicht begünstigten Diabetes 2, und auch da nicht bei allen Patienten.
Einigkeit herrscht bei Chirurgen, Internisten und Diabetologen: Bei extrem Übergewichtigen ist die OP eine teils lebensrettende Chance. Sie stecken in einem Teufelskreis, aus dem eine Diät allein nicht mehr herausführt: immer weniger Bewegung und soziale Kontakte, dafür immer mehr Fernsehen und Computer - und: Essen.
„An vielen Stellen wird zu viel operiert in Deutschland, an Wirbelsäulen, Gelenken und auch im Bauchraum“, sagt Stefan Post, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) und Direktor der Chirurgischen Uni-Klinik Mannheim. „In der Chirurgie bei krankhaftem Übergewicht ist aber das Gegenteil der Fall.“ Deutschland sei hier das Schlusslicht in West-Europa. „Dabei gehören die Deutschen zu den Dicksten in Europa.“
Die Kassen zahlen den Eingriff erst nach teils umfangreicher Antragstellung. „Die Krankenkassen treten immer noch massiv auf die Bremse“, sagt Post. „Das ist umso mehr ein Skandal, als es die einzige durch Langzeitstudien abgesicherte Maßnahme ist, die bei krankhaftem Übergewicht das Leben verlängern kann.“ Sie spare wegen verminderter Behandlungskosten von Begleiterkrankungen sogar Geld.
Anders als das Fettabsaugen beim Schönheitschirurgen, das gegen Übergewicht nicht hilft, greift die Methode auch in den Stoffwechsel ein. Rund 300 000 Dicke wurden weltweit nach Schätzungen operiert. Die drei Methoden: das Magenband, der Magenbypass, bei dem nur ein Minimagen in Funktion bleibt, und der Schlauchmagen, bei dem das Organ zum Schlauch verschlankt wird.
„Die Patienten nehmen im Schnitt 50 bis 80 Prozent des Übergewichts ab“, sagt der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) und Direktor einer chirurgischen Abteilung der Uni Heidelberg, Markus Büchler. Ein Mensch mit 150 Kilogramm verliere zwischen 35 und 55 Kilogramm. „Er kommt auf 100 Kilo oder darunter - das kann man ihm garantieren. Und der Gewichtsverlust ist anhaltend“, sagt Büchler.
Auch Mediziner anderer Richtungen sehen in der OP eine große Chance. „Sie wurde entwickelt für Menschen, die 200 Kilogramm wiegen oder mehr, die anders keine Chance haben, von diesem Riesengewicht runterzukommen. Für solche Menschen, die kaum mehr laufen können, ist es oft die letzte Rettung“, sagt der Internist und Diabetologe Andreas Fritsche von der Universität Tübingen. „Aber man muss genau wissen, wem man sie anbieten kann und welche Gefahren sie hat.“ Oft sei eine Änderung des Lebensstils der bessere Weg, sagt Fritsche, der im Vorstand der Deutschen Diabetes Gesellschaft sitzt. Die Operation komme erst ab einem Body-Mass-Index von 40 infrage - bei 1,70 Meter Größe ist das ein Gewicht ab 115 Kilogramm.
Wer etwa an ausgeprägter Suchtproblematik oder Depressionen leidet, für den ist die OP ungeeignet. „Das ist ein Drittel aller sehr übergewichtigen Menschen“, sagt Büchler. „Da liegt das Problem nicht im Bauch, sondern im Kopf.“ Büchler und Post berichten, mancher steige nach der OP auf süße Limo um. Post: „Wenn man hochkonzentriert literweise Zuckerlösung zu sich nimmt, nützt Mageneinengen wenig.“
Hoffnungen setzten die Chirurgen auf die operative Behandlung von Diabetes - anfangs ein Zufallseffekt. „Man hat gesehen, dass der Diabetes sofort weggeht, wenn man diese superdicken Menschen operiert. Das war eine zufällige Beobachtung, die erst niemand glauben wollte. Inzwischen ist das aber durch gute wissenschaftliche Studien erwiesen“, sagt Büchler.
Büchler arbeitet an einer Studie, die klären soll, ob die OP mäßig Übergewichtigen mit Diabetes helfen kann. Er sieht erste Erfolge, warnt aber dennoch: „Wir haben noch nicht ausreichende Langzeitergebnisse.“ Auch der Mechanismus sei unklar. Möglicherweise würden Hormone im Magen, die in großer Menge Diabetes auslösten, reduziert. Nach einer anderen Hypothese ändert sich die Bakterienzusammensetzung im Darm.
Diabetologen und Internisten sind bei mäßigem Übergewicht und bei Diabetes skeptisch. Vor einem breiteren Einsatz sollten klinische Studien abgewartet werden wie sie bei der Zulassung von Medikamenten üblich sind, sagt Fritsche. Die Nebenwirkungen seien nicht ganz geklärt. Anders als die Chirurgen warnt er vor möglichem Mangel bei Vitamin B und D - wichtig für die Knochen. Teils gebe es eine erhöhte Selbstmordrate. Und während Frauen nach einigen Studien seltener Krebs bekamen, ergaben andere Studien erhöhte Darmkrebszahlen. Und so wie der Diabetes verschwand, taucht er oft nach einigen Jahren wieder auf. Fritsche: „Das zeigt nur: Es ist noch vieles unbekannt.“