Singen gegen den Schmerz - „Singende Krankenhäuser“ in Bayern
Werneck (dpa) - Singen macht glücklich und kann gesund halten. Das beweisen zahlreiche wissenschaftliche Studien. Viele Musiktherapeuten nutzen diese Heilkraft. Deutschlandweit gibt es rund 14 Singende Krankenhäuser.
Der Text des Liedes ist ganz einfach. „Bobo male, shu, shu, maya“, singt Musiktherapeut Franz Berwind vor. Um ihn herum sitzen rund 20 Männer und Frauen. Einige blicken schüchtern auf den Boden und murmeln den Text nur zaghaft mit. Zumindest zu Beginn des Treffens. Nach einer Stunde schon bewegen sie sich im Rhythmus ihrer Lieder und erheben stolz ihre Stimmen. Das Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Schloss Werneck im Landkreis Schweinfurt setzt auf die heilsame Kraft des Singens. Es ist eines von mindestens 14 deutschen Mitgliedern des Vereins „Singende Krankenhäuser“.
Die Einrichtungen in dem Internationalen Netzwerk haben es sich zum Ziel gesetzt, das Wohlbefinden der Menschen zu steigern - indem sie Singkreise für Jedermann unter fachlicher Anleitung anbieten. Wer mitsingt, soll sich danach besser fühlen. „Da wird jetzt keiner beim Herausgehen die Krücken von sich werfen und sagen: "Ich bin geheilt!". Aber man merkt, dass das Singen eine positive Veränderung mit sich bringt“, sagt Paul Strobel, Leiter der Komplementärtherapie im Schloss Werneck.
Die positiven Auswirkungen des Singens auf Körper und Geist hätten zahlreiche wissenschaftliche Studien bewiesen, sagt Tonius Timmermann, Leiter der Forschungsstelle Musik und Gesundheit an der Universität Augsburg. „Es regt die Atmung an, und Körper und Gehirn werden besser mit Sauerstoff versorgt. Singen stärkt die Immunabwehr, und es hat eine gewaltpräventive Wirkung, weil es Testosteron abbaut“, zählte Timmermann auf.
Außerdem steigere es die Endorphin-Produktion. „Die ausgeschütteten Glückshormone wirken schmerzstillend und stimmungsaufhellend“, erklärt der Musiktherapeut weiter. Bessere Durchblutung, beweglichere Gelenke, weniger Magensäure, ein stabiles Herzkreislaufsystem - „Menschen, die viel singen, leben gesünder und länger als der Durchschnitt der Bevölkerung“, sagt Timmermann.
Auch die Teilnehmer selbst spüren die Veränderungen: „Ich ziehe mehr Positives aus dem Leben, seit ich hier mitsinge“, sagt eine 54 Jahre alte Unterfränkin, die lange unter Depressionen, Lustlosigkeit und Angstzuständen litt. Sie sei selbstbewusster geworden und sehe die Dinge entspannter. „Außerdem bin ich hier unter Menschen, die mich verstehen. Das tut gut.“
Die Männer und Frauen wippen mit den Fußspitzen, klopfen auf ihre Oberschenkel und schnippen im Takt mit den Fingern. „Singt lieber laut und falsch als richtig und verschämt“, ermuntert sie der Singkreis-Leiter Berwind. Viele Menschen hätten viel zu gut gelernt, sich in sich zu verkriechen. „Hier gehen sie wieder aus sich heraus.“ Er wählt bewusst relativ unbekannte Lieder, die mehrstimmig gesungen werden können. „Die wollen hier schon gefordert werden“, sagt er über seine Teilnehmer.
Der Singkreis in Werneck richtet sich ausdrücklich nicht nur an Patienten. „Wir setzen auch auf den Effekt, dass auch viele von außen kommen. Und dass uns mit dem Singkreis ein Brückenschlag gelingt und es weniger Vorbehalte gegen die Psychiatrie gibt“, sagt Strobel weiter.
Das gemeinsame Singen gilt nicht als Musiktherapie. Das will der Wernecker Singkreis aber auch nicht sein. „Bei uns geht es darum, den Wert des Singens zu würdigen. Singen ist heilsam. Das wollen wir zeigen“, sagt Berwind.
Das Netzwerk „Singende Krankenhäuser“ richtet sich auch an Altenheime, Behinderteneinrichtungen und Kindergärten. Je mehr gemeinsam gesungen wird, desto besser. Ein Ziel, das auch die Experten unterstützen: „Die Singkultur ist eher im Niedergang begriffen. Von daher sind alle Initiativen, die Singen fördern, hochwillkommen“, sagt Timmermann von der Uni Augsburg.