Tapas - Spanischen Leckereien als Häppchen für zwischendurch
Frankfurt/Main (dpa/tmn) - Nur wenige gastronomische Begriffe konnten sich international so gut durchsetzen wie Tapas. Die kleinen Leckereien haben viele Geistesverwandte bekommen. Ob in Hamburg, Hessen oder Bayern, vielerorts wurden die Appetithäppchen freudig adaptiert.
In ihrer spanischen Heimat sind sie schon lange eine willkommene Knabberei zu Wein und Bier. Oft sind es auch heute wenig aufwendige lokale Spezialitäten wie Oliven, Mandeln, Schinken, Chorizo oder Käse, die dem Gast in „Cazuelitas“, den kleinen braunen Tonschälchen, vorgesetzt werden. Doch mancher Wirt, baut auf dem Tresen eine wahre Armada an Tapas auf, die dem Gast das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen sollen, wenn er auf dem „Tapeo“, dem Zug von Bar zu Bar, hereinschaut.
Ob in Andalusien oder im Baskenland - oft ist es ein Ritual, ein Essen mit Freunden in lockerer Atmosphäre. Man trinkt, plaudert und zieht dann weiter durch die Stadt. Selten länger als für ein Gläschen. Dabei ist das Angebot von Region zu Region oft unterschiedlich. Zwar sind Bestseller wie „Gilda“, ein Peperoni-Anchovis-Oliven-Spieß, Tintenfisch auf galizische Art, panierte Garnelen, diverse gefüllte Kroketten oder Stockfisch „al Pil-Pil“ auch im Landesinneren zu bekommen, doch schmecken besonders „Mariscos“ (Meeresfrüchte), die in den Städten entlang der Küste aufgetischt werden, dort meist noch viel frischer. Man sagt, Tapas seien in Andalusien erfunden wurden, wo eine Scheibe Schinken oder „Lomo embuchado“ (luftgetrocknete Schweinelende) als Deckel (Tapa) auf das Sherryglas gelegt wurde.
„Das machen wir in Frankfurt beim Äppelwoi auch“, sagt die Kochbuch-Autorin Ingrid Schick. „Hessens Häppchenkultur hat Ähnlichkeiten mit der Tapas-Kultur Spaniens.“ Die Gastronomieexpertin hat sich deshalb zusammen mit befreundeten Köchen auf die Suche nach bodenständigen, kleinen Gerichten gemacht und ist fündig geworden. Ihr Buch sieht sie als Liebeserklärung für die kleinen Leckereien, die Genießer über die Grenzen hinweg verbindet. Viele spannende Neuinterpretationen von regionalen Spezialitäten wie der Hessen-Burger aus Fleischwurst mit Grüner Soße oder Handkäs-Tatar mit Matjesfilet finden sich darin. So lässt sich mit etwas Geschick auch in der heimischen Küche Ferienfeeling schaffen.
Als Pendant zur „Gilda“ serviert der Sternekoch Ingo Bockler zum Beispiel Rehspießchen mit Birnen und Lauchzwiebeln oder geräucherten Rehschinken auf Sherryzwiebeln, die durch den Sherry einen andalusischen Touch bekommen. In seinem Restaurant im waldreichen Nordhessen bekommt er frisches Wild aus heimischer Jagd. Bockler liebt solche regionalen Produkte, die frei sind von künstlichen Zusätzen. „Das ist eine gute Einstimmung auf das Menü.“ Während er sich auf einige Appetithäppchen beschränkt, kreieren manche Kollegen ein ganzes Menü daraus.
Dieter Müller war dabei ein Vorreiter in Deutschland. Schon 1996 führte der Drei-Sterne-Koch mittags ein Amuse-Bouche-Menü in seinem Gourmetrestaurant ein. Anregungen dafür kamen auch aus Spanien. Die spanischen Tapas sind oft rustikal. „Aber es gibt auch sehr innovative Ansätze. Ferran Adrià hat viel dafür getan.“ Müller hat sie nach seinen Vorstellungen verfeinert. Statt fünf und mehr Geschmacksaromen auf einem Teller sollte bei ihm jeder der kleinen Happen ein Hochgenuss werden.
„Damals war Wolfgang Siebeck zu Gast“, erzählt er. „Als ich ihm einen Teller mit drei kleinen Gerichten servierte, sagte er, dass er davon auch gut zehn bis zwölf essen könne.“ Gesagt, getan. Müller brachte 19 Gänge auf den Tisch, und das neue Angebot wurde zum Magnet. Die Kreationen reichten von Exklusivem wie Champagner-Kutteln mit Pulpo und Blattsalatsoße bis zu Bodenständigem wie Himmel und Erde mit Geflügelblutwurst und Balsamicosoße. „Die kleinen Süppchen waren immer der Renner bei den Gästen“, erinnert sich Müller.
Im von der Wirtschaftskrise gebeutelten Spanien erleben Tapas derzeit als leckere Alternative zum teuren Restaurant einen ungeahnten Aufschwung. Überall gehen Küchenchefs ans Werk und machen daraus kleine kulinarische Meisterwerke. Als der 34-jährige Santiago Muller nach Lehr- und Wanderjahren in der Luxushotellerie den Sprung in die Selbstständigkeit wagte, ging er gar nicht erst das Risiko eines Restaurants ein, sondern eröffnete 2011 im Herzen Madrids eine Tapas- und Wein-Bar. „Die Leute treffen sich heute lieber mit Freunden den ganzen Abend auf Tapas und eine Flasche guten Wein.“
Stefanie Heckel vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) lässt das an die Jahre 2008/09 zurückdenken. „Hauptsächlich die Luxus- und Sternegastronomie hatte bei uns unter der Krise zu leiden.“ Die Tapas-Kultur kommt nach ihren Beobachtungen auch hier gut beim Publikum an. Kleine Speisen an langen Tischen zum attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis sind gefragt. Ob spanisch oder deutsch interpretiert, hängt meist vom individuellen Geschmack ab - Hauptsache lecker.
Literatur:
- Ingrid Schick: Hessen-Tapas. Die besten Rezepte. CoCon, 144 S., 9,90 Euro, ISBN-13: 978-3937774923.
- Dieter Müller: Einfach und genial: Rezepte aus der Kochschule des Meisters. Umschau, 200 S., 34,90 Euro, ISBN-13: 978-3865282620.