WHO-Forscher warnen vor Krebsgefahr durch Dieselabgase

Lyon/Genf/Berlin (dpa) - „Vorsicht: Diesel ist krebserregend!“ - diese Warnung von WHO-Forschern könnte Autofahrer, Passanten und auch die Industrie aufschrecken. Doch die Automobilbranche widerspricht.

Forscher der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben Dieselabgase aus Autos und Maschinen als krebserregend eingestuft. „Der wissenschaftliche Beweis ist überzeugend“, sagte der Leiter einer entsprechenden Studie der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) in Lyon, Christopher Portier. Autobauer in Deutschland kritisierten am Donnerstag (14. Juni), die Untersuchung basiere auf Emissionswerten alter Dieselmotoren ohne Filtersysteme.

Die Forschungsgruppe sei „übereinstimmend“ zu der Schlussfolgerung gekommen, dass Diesel-Abgase bei Menschen Lungenkrebs erzeugen“, betonte Portier laut einer Mitteilung der IARC, die zur WHO gehört. Die Ergebnisse wurden nach einwöchigen Erörterungen der Studie durch internationale Wissenschaftler in Lyon vorgestellt. Abgesehen von „hinreichenden Beweisen“ für die Verursachung von Lungenkrebs gebe es Hinweise darauf, dass Dieselabgase zu Blasenkrebs führen könnten.

Zwar räumen die Wissenschaftler ein, dass die Gefahr einer Krebserkrankung durch das Einatmen von Abgasen eher gering sei. Jedoch müsse bei Menschen, die oft und - teils auch beruflich bedingt - intensiv Dieselabgase inhalieren, von einer direkten Verbindung zu Lungenkrebs ausgegangen werden. „Heute hat die Internationale Agentur für Krebsforschung Dieselabgase als krebserregend für Menschen klassifiziert“, heißt es in der Erklärung vom 12. Juni.

Angesichts solch grundsätzlicher Gefahren durch Diesel fordern die IARC-Wissenschaftler: „Weltweit muss der Kontakt (von Menschen) mit dieser Mixtur von Chemikalien reduziert werden.“ Bislang seien aber „große Bevölkerungsteile im täglichen Leben Dieselabgasen ausgesetzt, sei es durch ihren Beruf oder die Umgebungsluft“.

IARC-Chef Kurt Straif schätzt nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“, dass die Gefahren selbst bei Berufskraftfahrern eher mit jenen des Passivrauchens vergleichbar sind, während das Risiko für Straßenpassanten niedriger liege. Dennoch empfehlen die Forscher weitergehende und genauere Studien.

Nach Angaben der Autoindustrie und des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) sind die Schadstoffemissionen bei Dieselmotoren in den letzten Jahrzehnten allerdings immer mehr zurückgegangen, während die Motoren leistungsfähiger wurden. Neben dem günstigeren Tankstellen-Preis im Vergleich zu Benzin ist dies für viele Autokäufer ein wichtiges Argument. Der Dieselanteil an den Neuzulassungen von Kraftfahrzeugen in Deutschland liegt inzwischen bei mehr als einem Drittel.

Beim Verband der Automobilindustrie (VDA) hieß es, die Lyoner Forscher hätten veraltete Motoren untersucht: „Diese über acht Jahre alten Motoren repräsentieren in keiner Weise die heute im Markt vorhandene fortschrittliche Dieseltechnologie.“

Neuwagen der ab 2014 verbindlichen Schadstoffklasse Euro 6 stoßen laut VDA 98 Prozent weniger Partikel, flüchtige Kohlenwasserstoffe und Kohlenmonoxid aus als Fahrzeuge vor Einführung der Abgasnorm vor 20 Jahren. Bei Stickoxiden betrage der Rückgang 75 Prozent. „Der sparsame und saubere Dieselmotor ist und bleibt ein wesentlicher Baustein der nachhaltigen Antriebs- und Kraftstoffstrategie.“

Unter Verdacht stand Diesel bereits vor vielen Jahren: 1988 hatte die IARC nach ersten Studien den Verdacht geäußert, dass „Dieselabgase vermutlich auf Menschen krebserregend“ wirken. Zehn Jahre später sei empfohlen worden, Forschungen zur potenziellen Schädlichkeit von Dieselabgasen „hohe Priorität“ einzuräumen.

Die IARC forscht der Mitteilung zufolge auch weiter nach möglichen Krebsgefahren durch Benzin. Sie verwies darauf, dass sie Benzin bereits 1989 als „möglicherweise krebserregend“ klassifiziert hatte. An dieser Einstufung habe sich durch neuere Forschungen nichts geändert, so dass Benzin im Gegensatz zu Diesel bislang nicht definitiv als krebserregend eingestuft werde.

Die Studie der IARC zur Krebsgefahr durch Diesel wurde finanziert durch die US-Umweltschutzbehörde und der kalifornischen Behörde für die Reinhaltung der Luft (CARB).