iPod, Internet und Kaffee to go

Autorin Judith-Maria Gillies blickt auf das vergangene Jahrzehnt zurück und enttarnt Peinlichkeiten.

Düsseldorf. Mit Freudenfesten zum Millennium wurde das Jahr 2000 gebührend empfangen. Jetzt ist das Jahr 2009 fast zu Ende und damit ein ganzes Jahrzehnt, die sogenannten Nullerjahre.

Judith-Maria Gillies: Um uns herum schien eine Art Dauerhektik ausgebrochen zu sein. Wir waren ständig und überall auf dem Sprung. Mit Kaffee im Pappbecher, iPod und Umhängetasche hetzten wir von Termin zu Termin. Mit Blackberry oder Hotspots hatten wir sogar ein eigenes Büro to go. Hauptsache, wir blieben mobil. Das fing schon im Babyalter an, wenn Kleinkinder in Joggerkinderwagen durch den Wald gehetzt wurden. Und die Großeltern blieben mit dem Rollator mobil.

Gillies: Absolut angesagt waren Körperkult und Schönheitswahn. Frauen hungerten, um wie Victoria Beckham in Size Zero zu passen. Männer versuchten, möglichst metrosexuell wie ihr Ehemann David ’rüberzukommen. Um das zu erreichen, vertrauten viele auf die Schönheitschirurgie. Plötzlich schien man alles am eigenen Körper tunen zu können: Lippen und Busen ließ man sich aufpolstern, Fett absaugen, Botox spritzen, Augen lasern und Zähne bleachen. Es war echt verrückt.

Gillies: Da schien ja vieles möglich. Hauptsache geschmacklos. Bauchfreie Oberteile und Hüfthosen - wir waren völlig schmerzfrei. Wahrscheinlich musste das so sein, damit das Steißbein-Tattoo so richtig zur Geltung kam (lacht). Das fand ich gruseliger als Halloween und Kletterweihnachtsmänner zusammen - und das will schon was heißen. Auch die Schuhmode war reichlich gewöhnungsbedürftig: Crocs-Plastiktreter und Flip-Flops schienen sich einen Wettbewerb zu liefern.

Gillies: Das Web 2.0. Es ist gerade mal zehn Jahre her, da mussten wir noch zur Bank gehen, um Geld zu überweisen, oder ins Reisebüro, um unseren Urlaub zu buchen. Heute gehören Onlineshopping, Google und Wikipedia zum Alltag. Und wenn uns der Einkauf nicht mehr gefällt, können wir die Sachen bei Ebay ganz einfach wieder verticken. Wir konnten plötzlich bloggen und podcasten, simsen und chatten, skypen und youtuben. Per Facebook oder Myspace konnten wir uns mit der Welt verlinken. Und die große Liebe suchten wir in Datingbörsen.

Gillies: Mit den Terroranschlägen am 11. September ist die Welt, wie wir sie bis dahin kannten, aus den Fugen geraten. Das hat Spuren hinterlassen. Unter anderem waren wir seitdem unbewusst auf der Suche nach dem inneren Gleichgewicht. Wellness wurde so zum absoluten Hype. Denken Sie an Yoga und Tai-Chi, Pilates und Ayurveda. Manche pilgerten wie Hape Kerkeling auf dem Jakobsweg, andere chillten mit Freunden in der angesagten Lounge, trafen sich zum Fußballgucken beim Public Viewing, und wieder andere luden Freunde zum Kochen ein. Irgendwie schaffte sich jeder sein Wohlfühlprogramm in hektischen Zeiten.

Gillies: Überrascht hat mich viel: Dass man mit Skistöcken durch den Stadtwald stöckelt und das dann ganz cool als Trendsportart Nordic Walking verkauft. Überraschend auch, dass uns Kaffee plötzlich am besten aus Pappbechern geschmeckt hat. Oder dass Geländewagen nicht mehr durchs Gelände fahren mussten, sondern nur noch über die Kö. Glücklicherweise waren wir ja alle ein bisschen Nuller. Ich selber bin beispielsweise zur begeisterten Billigfliegerin, Googlerin und Bionade-Trinkerin geworden. (lacht)