Auf den Spuren von Edgar Reitz: Filmreife Erlebnisse im Hunsrück
Im Auswanderer-Epos „Die andere Heimat“ kommt die Gemeinde Gehlweiler als Schabbach groß heraus.
Es sind „dorfinterne“ Geheimnisse, die Anni Koop mit einem Lächeln verrät.
Da war zum Beispiel der Hagel, der die Hunsrückerin — und viele andere Statisten — keinesfalls aus heiterem Himmel traf. Drehbuchgemäß hatte die Filmcrew vorgesorgt: „Der Hagel war Katzenstreu.“
Auch Nachbar Armin Schneider kennt die Tricks, mit denen Regisseur Edgar Reitz „Die andere Heimat“ in Szene setzte: „Im Film wird in meiner Scheune eine Kirmes gefeiert. Der Wein, der ausgeschenkt wurde, war Wasser aus meinem Gartenschlauch.“ Überhaupt ist im Kinofilm nicht alles echt, was so aussieht: Dass die Kirchenpforte in Wirklichkeit eine Garage ist, weiß Ortsbürgermeister Kurt Aßmann. Und der angrenzende Brunnen ist nur aus Styropor.
Kein Wunder: Im Auswanderer-Epos kommt die Gemeinde Gehlweiler groß heraus. Dabei kam einiges anders als geplant. „Anfangs sollte nur meine Scheune eine Rolle spielen“, erzählt Armin Schneider (58). Doch dann fand die Crew Gefallen an Schneiders komplettem Heim. „Sie machten einen Gasthof daraus.“ Mit sichtbaren Folgen: Das komplette Haus wurde zur Kulisse erklärt und von einer Vorwand umrahmt, die es rund 150 Jahre altern ließ.
Schneider bekam, wie seine Nachbarn, nicht nur eine Fassade vor die Haustür gesetzt, auch die Straße war nicht mehr die alte. Sie wurde mit Lehm zugeschüttet. Und weil alles so aussehen sollte wie im 19. Jahrhundert, musste auch die Satellitenschüssel aus dem Bild weichen. Kein Kabel durfte bleiben, alle Zeugnisse der Neuzeit wurden zwangsversetzt.
Mühsam sei das Film-Abenteuer gewesen — aber auch spannender als jedes Fernsehprogramm. Denn die Nachbarn nutzten die Gunst der Stunde und mischten aktiv mit: „Ich bin froh, dass ich als Statist dabei war“, sagt Armin Schneider (58), der im echten Leben Bäcker ist, im Film Kirmesgast und Auswanderer war.
Sechs Monate lang lebte die Nachbarschaft mitten in der Kulisse unter Einschränkungen. Denn das Filmteam wirbelte im beschaulichen Gehlweiler, das im Film Schabbach heißt, ordentlich Staub auf. Die Winteraufnahmen wurden bei 34 Grad gedreht. Hagel inklusive.
Heute erinnern zwölf Bildtafeln fein säuberlich daran, dass an der Dorfstraße Filmgeschichte geschrieben wurde. Sie weisen „Heimat“-Freunden den Weg und stehen an den Häusern, in und vor denen gedreht wurde.
Szenenwechsel: Kurz vor der Deutschland-Premiere in Simmern, wo er einst zur Schule ging, steht Ehrenbürger Edgar Reitz im Hunsrück Museum und ist begeistert, als er in der neu arrangierten Foto-Ausstellung eine großformatige Aufnahme sieht, die das Kulissendorf Gehlweiler zeigt. „Diese Schärfe“, schwärmt er. „Und ein tolles Licht.“
So atmosphärisch dicht wie die Fotografie ist auch sein Werk. „Filme machen heißt: Geschichten erzählen“, betont Reitz. In diesem Fall heißt es: „Die andere Heimat“ berichtet exemplarisch von Vorfahren, die, von Hungernöten geplagt, nur noch einen Traum haben: Sie wollen in Brasilien ein neues Leben anfangen.
Das Projekt habe auch Gegner gehabt, gibt der Filmemacher offen zu. „Aber wir haben sie überzeugen können. Es war zwar eine Belastung, dass sie monatelang nicht mit dem Auto vor die Haustür fahren konnten. Aber es war auch ein Höhepunkt in ihrem Leben. Und für die Kinder war es einfach ein großer Abenteuerspielplatz.“
Dabei hat Reitz nicht zum ersten Mal mit einer Hommage an seine Heimat eine kleine Reisewelle in Gang gesetzt. Die ersten Teile seiner „Heimat“-Saga lockten schon vor 30 Jahren begeisterte Film-Fans in den Hunsrück.